Freitag, 25. Februar 2011

Sonnenkur

Viele Jahre galt die Sonne als Synonym für Hautkrebs-Risiko. Nun schlägt das Pendel gewaltig in die Gegenrichtung: Tausende Studien belegen die enorme gesundheitliche Bedeutung von Vitamin D, das über Sonnenstrahlen in der Haut erzeugt wird. Viele Mediziner sehen im winterlichen Sonnenmangel eine Hauptursache für grippale Infekte.

Harald Dobnig wusste, dass er auf einem Datenschatz saß. Der Endokrinologe und Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz hatte die Protokolle von 3256 Männern und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren, die alle wegen des Verdachtes einer Herzgefäß-Verengung genauestens untersucht worden waren. Unzählige Einzelwerte lagen vor, vom Blutdruck bis zum Cholesterinwert. Das beste – aus Sicht eines Wissenschaftlers – war aber der Zeitpunkt der Untersuchung: Der lag nämlich im Schnitt acht Jahre zurück und mittlerweile waren 737 Patienten, also fast ein Viertel, verstorben. Harald Dobnig saß nun mit einem Team von Kollegen aus den verschiedensten Sparten der Medizin über den Daten, analysierte sie in diese und jene Richtung und versuchte zu ergründen, welcher der Messwerte die beste Prognose für ein besseres oder schlechteres Überleben ermöglichte. „Ich habe mich mit der Datenbank gespielt, bis mich der Vitamin-D-Blitz getroffen hat“, erzählt Dobnig.

Den Schlüssel zum Verständnis fand er im Vitamin-D Status der Patienten. Dazu teilte er sie nach ihrem Vitamin-D Wert in vier gleich große Gruppen ein. Wenn man nun Patienten des niedrigsten Viertels (Durchschnittswert 7,6 Nanogramm pro Liter) mit jenen des höchsten Viertels (28,4 ng/l) verglich, so war deren Sterberisiko mehr als doppelt so hoch. Patienten aus dem zweitniedrigsten Viertel (13,3 ng/l) hatten noch immer ein mehr als 50 Prozent höheres Sterberisiko. „Der Vitamin D Status der Patienten hatte die mit Abstand beste Aussagekraft für deren Überleben“, erklärt Dobnig.

Die Grazer Studie wurde 2008 im angesehenen Journal „Archives of Internal Medicine“ publiziert und in dieser kurzen Zeit bereits wieder von 180 anderen Studien zitiert. Insgesamt sind im letzten Jahrzehnt mehr als 18.000 Arbeiten zum Thema Vitamin D in die internationale Medizin-Datenbank „PubMed“ aufgenommen worden. In den 90er Jahren waren es zum Vergleich nur knapp 8000. „Das Interesse ist regelrecht explodiert“, sagt Dobnig (Foto). „Vitamin D gilt derzeit weltweit als eines der heißesten Eisen der medizinischen Forschung.“

Lange Zeit war das anders. Die Geschichte von Vitamin D ist voll von Irrtümern. Das beginnt schon beim Namen. Vitamine erfüllen – laut Definition – lebenswichtige Funktionen, können im Stoffwechsel jedoch nicht im nötigen Ausmaß selbstständig erzeugt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts erwies sich Lebertran als Heilmittel für die bei Kindern grassierende Knochenwachstums-Störung Rachitis. Man nahm also an, dass sich darin ein Vitamin befindet, das den kranken Kindern fehlt und nannte es –nach den drei bisher bekannten Vitaminen A, B und C – in alphabetischer Folge Vitamin D.
Damals wusste noch niemand, dass der Organismus sehr wohl in der Lage ist, ausreichend Vitamin D herzustellen, so lange Sonne auf die Haut trifft. Genauer gesagt braucht es Ultraviolettes Licht geringer Wellenlänge (so genannte UV-B Strahlung) um ein mit Cholesterin verwandtes Molekül, das reichlich in der Haut vorkommt, in eine Vitamin D – Vorstufe umzuwandeln. Nach heutigem Wissensstand würde man Vitamin D als Hormon bezeichnen.

Mit der raschen Lösung des Rachitis-Problems schien die Bedeutung der Substanz aber geklärt und viele Jahrzehnte lang kümmerte sich kaum jemand darum. Dazu kamen Gerüchte über mögliche Schäden, ausgelöst durch Hochdosen von Lebertran, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Kinder traktiert wurden.
Heute weiß man, dass toxische Effekte von Vitamin D – auch bei Überdosierung – unwahrscheinlich sind. Dass hingegen der Mangel weltweit in enormem Ausmaß verbreitet ist. Als moderner Pionier und Hauptverantwortlicher für das Comeback von Vitamin D gilt Michael F. Holick, Endokrinologe der Universität Boston. Er publizierte seit den 70er Jahren Aufsehen erregende Studien zu den verheerenden Auswirkungen eines Mangels an diesem Sonnenhormon. „Zum einen erhöht sich das Risiko auf weit verbreitete Krebsarten“, erklärt Holick, „ebenso auf Diabetes, Autoimmunkrankheiten, sowie Herzinfarkt und Schlaganfall.“ Erste Anzeichen für einen Vitamin-D Mangel seien meist Schmerzen in Knochen und Muskeln, dauerhafte Müdigkeit sowie Depressionen. „Das führt zu enormen Fehldiagnosen, wenn die Ärzte nicht auf Vitamin D testen.“

Man weiß mittlerweile, dass das Sonnenhormon an der Regulation von mehr als 200 Genen beteiligt ist und damit eines der einflussreichsten Hormone des menschlichen Organimus ist. Und es kommen Resultate aus den verschiedensten Sparten der Medizin. Werdende Mütter haben beispielsweise ein deutlich geringeres Risiko auf eine Kaiserschnitt-Geburt, wenn ihr Vitamin-Status in Ordnung ist.
Enorme Konsequenzen hat der Sonnenmangel für ältere Menschen, deren Haut mit höherem Lebensalter auch zunehmend schlechter in der Lage ist, genügend Vitamin D zu erzeugen. Sobald sie nun auch noch bettlägrig werden, sinkt der Spiegel gegen null. Sonnenbaden und billige Vitamin D Tropfen aus der Apotheke, raten Experten, wären hier therapeutisch wesentlich effektiver als teure Osteoporose-Medikamente von fraglicher Wirksamkeit.

Besonders interessant ist der Zusammenhang mit Infekten. Im Kern geht es dabei um die Frage, warum wir im Winter häufiger krank werden als im Sommer. Wir sind ja auch im Sommer in dicht gedrängten Räumen und auch die Viren und Bakterien sind im Sommer genauso im Umlauf. Dennoch ist eine Sommergrippe relativ selten - und im Winter sterben in Österreich etwa 3000 Personen mehr als in den anderen Jahreszeiten.
In der ehemaligen Sovjetunion hat man dazu ziemlich drastische Versuche unternommen und Versuchspersonen absichtlich mit Influenzaviren infiziert. Dabei zeigte sich, dass im Winter die Infektion um das Zehnfache leichter gelingt als im Sommer. Und die Erklärung liegt abermals im Vitamin D: Alle weißen Blutkörperchen besitzen Vitamin-D Rezeptoren und werden dadurch aktiviert. Obendrein sind die Schleimhäute mit antimikrobiell wirksamen Peptiden besetzt, die als erste Abwehrlinie gegen Viren und Bakterien fungieren. „Auch sie hängen in ihrer Funktion von Vitamin D ab“, sagt Dobnig.
Doch das Sonnenvitamin rüstet nicht nur das Immunsystem auf, es besänftigt gleichzeitig die Gegenreaktion. Oft richtet ja die über aggressive Zellen der Immuanbwehr gesteuerte Gegenreaktion mehr Schaden an, als die Viren selbst. Bei der zurück liegenden Influenza-Pandemie sind die meisten der jungen Opfer nicht an den Viren, sondern an einer überzogenen Immunantwort gestorben, bei der das infizierte Lungengewebe durch einen Großangriff des Immunsystems und die massenhafte Ausschüttung Entzündungs-fördernder Zytokine zerstört wurde.

Die Sowjets setzten diese Erkenntnisse im Leistungssport ein und schickten ihre Athleten regelmäßig zu UV-Bestrahlungen ins Solarium. Dadurch konnten die Infekt-bedingten Krankheitstage der Sportler auf die Hälfte reduziert werden.
Nun erscheinen langsam auch aktuelle Studien zur Eignung von Vitamin D in der Influenza-Prophylaxe. In einer sorgfältig gemachten Untersuchung mit 334 japanischen Schulkindern war das Influenza-Risiko in der Vitamin-D Gruppe um signifikante 42 Prozent vermindert. Bei Kindern mit einer bekannte Asthma-Diagnose verringerte sich das Risiko einer Asthma Attacke gar um signifikante 83%. Von derartigen Ergebnissen können die Hersteller der Influenza-Impfstoffe nur träumen

Während die Verschreibung von Vitamin D Präparaten zunimmt, haben viele Ärzte bis heute Probleme damit, ihren Patienten therapeutische Sonnenbäder zu empfehlen. Gilt doch die Sonne als Verursacher von Hautkrebs und die Warnung vor den Gefahren von Sonnenbrand ist omnipräsent. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Sonne und Melanomen, der gefährlichen Form des „Schwarzen Hautkrebs“, bis heute wissenschaftlich umstritten. „Menschen, die sich berufsbedingt ständig in der Sonne aufhalten, haben sogar ein geringeres Melanom-Risiko“, erklärt etwa Marianne Berwick, Leiterin der Division für Epidemiologie und Prävention von Krebserkrankungen an der Universität von New Mexico in Albuquerque.
Wissenschaftlich gesichert ist hingegen der Einfluss von Sonne auf die Entstehung des häufigsten Hautkrebs-Typus, des Basalzellkarzinoms. Das entwickelt sich meist im Kopfbereich, kann gut entfernt werden und ist damit in den meisten Fällen auch geheilt. Im Vorjahr erschien dazu eine große dänische Übersichtsarbeit, die ein wirklich sensationelles Ergebnis brachte: Die Auswertung der Daten von 72.295 Fällen von Basalzellkarzinom ergab nämlich, dass diese Patienten nicht kürzer, sondern signifikant länger lebten als die Durchschnitts-Bevölkerung. „Natürlich ist es nicht der Krebs, der diesen Überlebensvorteil bewirkt“, erklärt der Innsbrucker Pharmakologe Hartmut Glossmann, „sondern der Zusammenhang mit Sonne und dem höheren Vitamin D Spiegel dieser Patienten.“
Gemeinsam mit anderen Vitamn-D-Experten fordert Glossmann die rasche Umsetzung der aktuellen Forschungsergebnisse durch die Gesundheitspolitik. „Damit die Menschen wirksam gegensteuern können, ist es notwendig, dass alle über ihren Vitamin D Status bescheid wissen.“
Deshalb solle der Wert künftig bei allen Gesunden-Untersuchungen ermittelt und dann über Sonnenkuren und Vitamin D Tropfen die notwendigen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. „Ich habe fast die ganze Verwandtschaft testen lassen, von den Enkeln bis zur Ur–Großmutter“, sagt Glossmann. „Und wir bleiben nun schon den dritten oder vierten Winter von grippalen Infekten verschont.“

Foto: Tim Beyer (Creative Commons),

Mittwoch, 16. Februar 2011

"Was kümmert uns Australien..."


Der Pharmakologe Hartmut Glossmann warnt vor den Auwirkungen von Sonnenmangel und fordert, dass bei Gesunden-Untersuchungen routinemäßig der Vitamin D Wert gemessen wird.

Ehgartner: Die bedeutendste Vitamin D Quelle ist die Sonne. Kann man diesen Effekt durch Vitamin D Tropfen aus der Apotheke ersetzen?

Glossmann: Wenn man experimentell Menschen ähnlichen Alters, Gewichtes, und Hauttyps mit einer definierten Dosis UV-B bestrahlt, so finden Sie zwischen den einzelnen Personen nur geringe Unterschiede in der erzeugten Menge von Vitamin D. Wenn ich derselben Gruppe Vitamin D oral gebe, stellt man fest, dass die einzelnen Individuen sich bis zum Faktor acht unterscheiden: Einige nehmen das Vitamin D fast gar nicht im Kreislauf auf, andere hingegen sehr gut. Das heißt, der mit Abstand zuverlässigste Weg für Menschen, Vitamin D zu erhalten, geht über die Sonne.

Ehgartner: Das wird aber jene Hautärzte nicht freuen, die bei Sonne in erster Linie an Hautkrebs denken und beständig davor warnen.

Glossmann: Ja, es ist ein Fehler, wenn man glaubt, Sonne auf der Haut ließe sich so einfach durch Arzneimittel ersetzen.

Ehgartner: Was bedeutet das für den Winter, wo die UV-B Strahlen in unserer Region kaum bis gar nicht durch die Atmosphäre dringen? Empfehlen Sie den Weg ins Solarium?

Glossmann: Wenn das ein zertifiziertes Solarium ist wo Lampen einen entsprechenden Anteil von UV-B Strahlen abgeben, spricht bei Erwachsenen, speziell bei älteren Menschen, nichts dagegen. Wichtig dabei ist jedoch, dass man nicht braun wird, sondern gerade mal eine leichte Tönung abbekommt. Dann können Sie sehen, wie der Vitamin D Spiegel ansteigt. Überaschenderweise umso mehr je niedriger der Ausgangswert war.

Ehgartner: Wie lange soll man bleiben?

Glossmann: Je nach Hauttyp genügen etwa sechs bis acht Minuten ein- bis zweimal pro Woche. Gesicht, Augen und bestimmte Körperregionen sollten bedeckt bleiben.

Ehgartner: Die WHO stuft Solarien seit 2009 offiziell als krebserregend ein. Haben Sie keine Bedenken, dass damit Hautkrebs gefördert wird?

Glossmann: Wissenschaftlich gesichert ist der Zusammenhang von Sonne und Hautkrebs zum Beispiel beim Basalzellkarzinom, das ist der häufigste Typ. Dieser Hautkrebs entwickelt sich meist gut sichtbar im Kopf-Halsbereich, kann entfernt werden und damit hat es sich in den allermeisten Fällen. Kürzlich ist dazu eine sehr interessante dänische Studie erschienen, die zeigte, dass Patienten mit Basalzellkarzinom im Schnitt länger leben als die Durchschnittsbevölkerung. Natürlich ist es nicht der Krebs, der diesen Überlebensvorteil bewirkt, sondern der Zusammenhang mit Sonne und dem höheren Vitamin D Spiegel.

Ehgartner: Wie konkret sorgt Vitamin D für ein längeres Leben?

Glossmann: Studien zeigen den Einfluss auf die Skelettgesundheit. Dass ein Spiegel über 75 nmol/l fatale Hüftfrakturen mit hoher Sicherheit verhindern kann.

Ehgartner: Die meisten kennen aber ihren Vitamin-D Spiegel gar nicht.

Glossmann: Deswegen dränge ich gemeinsam mit Kollegen darauf, dass zu einer normalen Gesundenuntersuchung auch die Bestimmung des Vitamin-D Wertes gehören muss. Mehrere Medizinstudenten in Innsbruck haben ihre Werte aus Interesse bestimmen lassen. Das Ergebnis war so dramatisch, dass die Gesundheitspolitik gefordert ist.

Ehgartner: Sitzen die Jungen zu viel vorm Computer?

Glossmann: Ja sicher. Und wenn sie ins Freie –in die Sonne- gehen, so verhüllt man sich, als wären sie Nonnen oder strenggläubige Moslems. Das betrifft weniger die Mädels, die ja noch Haut zeigen. Aber sehen sie sich mal an, wie sich die Jungen nach aktueller Mode kleiden. Viele von denen haben katastophale Knochenwerte, manche können gar keinen Sport mehr machen. Ich habe kürzlich mal Fotos aus meiner Jugend angeschaut: Wir haben von Frühjahr bis Herbst kurze Hosen getragen – sowas finden Sie heute nirgendwo: Alle sind total zugedeckt. Die können nicht mal im Sommer Vitamin D bilden.

Ehgartner: Nehmen Sie selbst Vitamin D-Tropfen?

Glossmann: Ich habe fast die ganze Verwandtschaft testen lassen. Je nach den Werten wird Vitamin D gegeben: Von den Enkeln bis zur fast 90 jährigen Ur -Großmutter. Und wir bleiben schon den dritten oder vierten Winter weitestgehend von grippalen Infekten verschont. Daten aus der Literatur bestätigen diese Erfahrung. Das macht sich aber nur bei dauerhafter Einnahme bemerkbar – über Monate und Jahre. Das ist kein Soforteffekt.
Wir erhalten Vitamin D jedoch auch aus Quellen, von denen wir das gar nicht vermuten. Etwa über das Fleisch von Biorindern, die den ganzen Sommer auf Almen weiden. Hier findet sich die hervorragend resorbierbare Form des Vitamins als Prohormon in großen Mengen. Unsere Biobauern wissen leider noch nicht, dass sie in Wirklichkeit über ihr Rindfleisch ein Top-Prophylaktikum gegen Knochenbrüche produzieren.

Ehgartner: Wie kam es denn eigentlich zu dieser Hysterie in Bezug auf die Sonne?

Glossmann: Das Problem begann damit, als festgestellt wurde, dass vorwiegend hellhäutige oder rothaarige Auswanderer in Australien Probleme von der Sonne bekamen. Und eigenartigerweise wurden Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen als weltweite Regel ausgegeben. Was kümmert uns Australien? Wenn Sie eine optimale UV-B Exposition haben wollen, dann müssen sie in unseren Breiten speziell in den Mittagsstunden in die Sonne gehen. Da ist das Verhältnis von UV-B zu UV-A optimal. Je tiefer jedoch die Sonne steht, desto schlechter ist das Verhältnis, weil UV-B Strahlen durch die längere Strecke in der Atmosphäre schon vorher absorbiert werden.
Aber natürlich gilt diese Empfehlung zum Sonnenbad immer ohne Sonnenbrände! Vitamin D wird nämlich recht schnell gebildet, lange bevor es zu einer Rötung der Haut kommt.

Ehgartner: Warum engagieren Sie sich nach Ihrer Emeritierung so intensiv für dieses Thema?

Glossmann: Weil Vitamin D definitiv eine enorme gesundheitliche Bedeutung für die Menschen hat. Außerdem stört es mich, dass die Arbeit österreichischer Vitamin D Forscher wie Pilz und Dobnig in Graz oder Peterlik in Wien zwar weltweit Anerkennung finden, aber bis heute keine Konsequenzen in der hiesigen Gesundheitspolitik zu erkennen sind.


Hartmut Glossmann, 70, ist Gründer des Institutes für Biochemische Pharmakologie der medizinischen Universität Innsbruck und langjähriger Institutsvorstand seit 1984. In seinem Institut wurde das Schlüsselenzym, welches die Menge des Vitamin D Vorläufers in der Haut regelt, erstmalig charakterisiert. Hier ist ein ausführlicher Fachartikel zum Thema Vitamin D.
Eine gekürzte Version dieses Interviews erschien diese Woche im österreichischen Nachrichtenmagazin Profil als Teil eines Artikels über "Strahlentherapie" zu Vitamin D.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Pandemrix: Narkolepsie bei deutschen Gesundheitsbehörden


Pandemrix war im Vorjahr in Deutschland, Skandinavien, und in vielen weiteren Ländern Europas der am häufigsten verwendete Schweinegrippe-Impfstoff. Insgesamt wurden mehr als 30 Millionen Menschen damit geimpft. Mit einem Impfstoff, der einen schlecht untersuchten und bisher kaum verwendeten neuen Wirkverstärker auf Öl-Basis enthielt ("Squalene").

Hier im blog habe ich mich mit allen möglichen Aspekten der Pandemie befasst: der Geschäftemacherei, der Unterwanderung von WHO und anderen Behörden mit Pharma-Lobbyisten, den unsicheren und schlecht getesteten Hilfsstoffen in den eilig auf den Markt geworfenen H1N1 Impfstoffen und der beschämend schlechten begleitenden Kontrolle dieser Massen-Medikation der Bevölkerung.

Die finnischen Gesundheitsbehörden haben gestern den Arbeitsbericht ihrer Arbeitsgruppe zu Verdachtsfällen von Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen vorgelegt.

Laut dem Bericht hatten Kinder und Jugendliche, die mit Pandemrix geimpft wurden ein um das Neunfache höheres Risiko an Narkolepsie zu erkranken. "Der beobachtete Zusammenhang ist so eindeutig, dass sich das Phänomen kaum über etwaige Störfaktoren erklären ließe", schreiben die Autoren der finnischen "National Narcolepsy Task Force" in ihrem Bericht.

Nun ist Narkolepsie eine recht seltsame Impfnebenwirkung. Wie soll eine Impfung Schlafkrankheit verursachen? Was ist das überhaupt konkret?

Narkolepsie ist alles andere als eine banale "Schlafkrankheit". Betroffene Patienten verlieren von einem Moment auf den andern das Bewusstsein, schlafen einfach ein. Ohne Kontroll-Möglichkeit. Die meisten Fälle treten während der Pubertät bis hinein in die Zwanziger Jahre auf, Männer sind ein wenig häufiger betroffen als Frauen. Führerschein oder ähnliche selbstverständliche Dinge sind für Narkoleptiker undenkbar. Narkolepsie ist eine schwere Behinderung. Sie beruht, so die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen, wahrscheinlich auf einer massiven neurologischen Störung.
Zitat aus Wikipedia:
Die Ursachen (Ätiologie) der idiopathischen Narkolepsie sind unbekannt. Untersuchungen lassen die Hypothese immer wahrscheinlicher werden, dass Zentren im Gehirn beteiligt sind, die für die Steuerung des Wach-Schlaf-Rhythmus zuständig sind (Hypothalamus, Suprachiasmatischer Nucleus). Neuere Ergebnisse weisen auf einen Verlust der sogenannten Hypocretin/Orexin-Zellen im Hypothalamus hin, sowie auf einen Verlust an grauer Substanz im Nucleus accumbens.

Bei "Squalene", dem Wirkverstärker in Pandemrix, wird seit längerem ein Risiko für autoaggressive Immunreaktionen diskutiert und in Tierversuchen auch bestätigt (z.B. hier und hier). Wenn das zutrifft, so könnte Pandemrix bei dafür empfänglichen Personen eine Attacke des Immunsystems auf körpereigene Nervenzellen "triggern", im Fall der Narkolepsie eben auf die Zellen im Hypothalamus. Derartige Zusammenhänge sind bisher jedoch kaum erforscht.

Das Problem bei Narkolepsie ist die enorme Dunkelziffer. In Wahrheit könnten viel mehr Personen betroffen sein, weil die Störung oft nicht erkannt wird, bzw. von den Ärzten gar nicht eigens danach gesucht wird. Zudem wäre es möglich, dass es leichtere Formen der Narkolepsie gibt, die als banale "Schlafstörung"abgetan werden.

Pandemrix stand von Anfang an unter heftiger Kritik. Speziell wegen des neuartigen Wirkverstärkers.
Squalene waren bislang nur in wenigen Impfstoffen enthalten (z.B. im Senioren Influenza-Impfstoff "Fluad") . Es gibt keine offen zugänglichen Sicherheits-Studien. Und bei den Pandemie-Impfstoffen gab es wegen der gebotenen Eile nur sehr harmlose, der möglichst schnellen Zulassung untergeordnete Sicherheits-Tests. Schließlich galt die Annahme, dass die Welt auf eine Ausnahme-Katastrophe zusteuert und nur die Impfstoffe die Menschen vor einem Massensterben schützen können.

In Österreich wurde Pandemrix nicht eingesetzt, sondern der Impftoff Celvapan von Baxter, der ohne Wirkverstärker auskam und als sehr gut verträglich galt. In Deutschland wurde Celvapan auch geordert und zwar speziell für Politiker, sowie die Angehörigen des Heeres. Er galt demnach bald als "Promi-Impfstoff", von Zwei-Klassen-Impfstoffen war die Rede. Die gewöhnlichen Bürger bekamen meist Pandemrix, von dem 50 Millionen Stück bestellt und auch bezahlt wurden.

Und hier interessiert mich die Frage, ob es in Deutschland möglich gewesen wäre, eine solche unerwünschte Arzneimittelwirkung - nämlich die Verursachung einer seltenen Störung wie Narkolepsie  - überhaupt zu entdecken.

So wie es aussieht, gibt es keinerlei Hinweis dafür.

Das Paul Ehrlich Institut (PEI) reagierte zunächst mit Verblüffung, als in Finnland, Schweden und Island diese Frage debattiert wurde: Bei der Behörde war nämlich keine einzige derartige Meldung eingegangen.
Eine Sprecherin des Pandemrix-Herstellers GlaxoSmithKline (GSK) versuchte zu beruhigen.
Weltweit seien 31 Millionen Dosen verimpft worden, insgesamt aber nur 161 Fälle von Narkolepsie aufgetreten, wovon 70 Prozent in Schweden und Finnland diagnostiziert wurden. „Das ist anscheinend auf diese Region beschränkt“, so die Aussage der GSK-Sprecherin.

Doch ist so eine Aussage haltbar? Soll man wirklich glauben, dass Pandemrix bei skandinavischen Kindern anders wirkt als bei deutschen? Oder liegt stattdessen eher der Verdacht nahe, dass es sich um einen Erfassungsfehler handelte und die Behörden außerhalb von Skandinavien – wo eigene Narkolepsie-Arbeitsgruppen eingerichtet worden sind – einfach nichts von diesen Krankheitsfällen erfahren hat.

Ich habe mir dazu die Datenbank des PEI angesehen, in der alle Meldungen auf unerwünschte Arzneimittel-Wirkungen (UAW) nach Impfungen erfasst werden - und natürlich auch jene nach Pandemrix.
Insgesamt gibt es im Zeitraum von 2009/10 in allen Altersklassen knapp 1.979 UAW Meldungen im zeitlichen Zusammenhang mit der H1N1 Impfung mit Pandemrix, darunter 55 Todesfälle.
Bei Kindern bis zum 17. Lebensjahr sind insgesamt 265 UAW Meldungen eingegangen.

Doch "Narkolepsie" wird in der Datenbank tatsächlich kein einziges Mal als mögliche Impffolge erwähnt.

Ja, Schlafstörungen, Müdigkeit oder Somnolenz wird bei den Kindern oft genannt. Doch ist es von Müdigkeit bis zu Narkolepsie noch ein weiter Weg. Wie viele schwere Störungen verbergen sich hinter den banal klingenden Symptomen? Das ist nicht bekannt.
Doch auch die anderen Nebenwirkungen nach Gabe von Pandemrix sind nicht ohne:
Besonders häufig sind Störungen der Schilddrüse, Urticaria, Tics, "veränderter
Bewusstseinszustand", Arthritis, schlaffe Lähmungen, das Guillaine-Barre Syndrom, anaphylaktischer Schock, Hallzuination, Gesichtslähmung und vieles mehr.

Narkolepsie ist recht selten und den meisten Ärzten, die hier gemeldet haben, wahrscheinlich gar nicht aus eigener Erfahrung bekannt.
Und jene Fachärzte und Experten auf diesem Gebiet, bei dem die Patienten schließlich gelandet sind haben möglicherweise gar nicht mehr an die behördliche Meldung gedacht - weil der Zusammenhang zur Impfung irgendwann - beim Weg durch die medizinischen Institutionen - verloren gegangen ist. Möglicherweise haben sie auch - wie das unter Ärzten recht verbreitet ist -  die gesetzlich vorgeschriebene Meldung an die Behörde für eine bürokratische Schikane gehalten und schlicht ignoriert.
Das ist ein Problem aller passiven Meldesysteme. Man nimmt an, dass die tatsächliche Anzahl der Fälle in der Bevölkerung beim zehn- bis zwanzigfachen der tatsächlich gemeldeten Fälle liegt.

Bleibt die Frage, ob es in Deutschland - außer diesem schlecht funktionierenden Meldewesen - sonst irgendeine Art von Sicherheitsnetz gab, um solche Nebenwirkungen überhaupt zu bemerken – und dann - so wie die finnischen Behörden - auf guter Datenbasis zu untersuchen.

Es sieht derzeit nicht so aus.
Nachdem in der Öffentlichkeit im Sommer 2010 die Schwedischen und Finnischen Untersuchungen zu Narkolepsie breit diskutiert wurden, kamen dem PEI von Oktober 2010 bis Ende Januar 2011 doch noch acht Meldungen von Narkolepsie-Verdacht zu Ohren. Auf dieser schmalen Basis konnten jedoch keine gültigen wissenschaftlichen Aussagen gemacht werden.

Dass es angebracht gewesen wäre, eine so extrem teure und riskante Massentherapie der Bevölkerung wie bei der Influenza Pandemie engmaschig zu begleiten, um auch seltene Nebenwirkungen seriös erfassen und untersuchen zu können, ist den Behörden jedenfalls nicht in den Sinn gekommen. Scheinbar war man der Meinung, die Sorgfaltspflicht erstrecke sich nur darauf, den Herstellerfirmen mit Steuergeld die Impfstoffe abzukaufen.

Das ist natürlich eine bösartige Unterstellung. Denn selbstverständlich liegt den Behörden das Wohl der Bürger am Herzen. Deshalb kündigen die Gesundheits-Behörden nun auch an, sich an einer EU-weiten Studie zur Erforschung eines Zusammenhangs zwischen Pandemrix und Narkolepsie zu beteiligen, die in den nächsten Jahren hier Klarheit bringen soll.

Das klingt fürs erste nach einer halbwegs verantwortungsvollen Reaktion: Doch warum will meine Freude darüber nicht so recht aufkommen? War da nicht schon einmal eine ähnliche Situation mit einem ganz ähnlichen Lösungsansatz?


TOKEN-STUDIE: Verschollen im Behörden-Dreieck

Mich erinnert diese Maßnahme frappant an die Aufregung um Todesfälle nach der Sechsfach-Impfung, die im Jahr 2003 Schlagzeilen machten.

Auch hier waren es zunächst einige wenige Verdachtsfälle, nämlich fünf. Und auch hier war es nicht das Frühwarn-System der Behörden, welche den Anlass für die Untersuchung gab, sondern die Einzelinitiative eines Münchner Gerichtsmediziners, der gleich drei verdächtige Todesfälle aus seinem persönlichen Arbeitsbereich anzeigte.

Etwas später war die Rede von etwa 15 Todesfällen in nahem zeitlichen Zusammenhang zur Sechsfachimpfung. Eine Gruppe um den Münchner Epidemiologen Rüdiger von Kries untersuchte den Zusammenhang und veröffentlichte einen Bericht in dem von einem "Signal" die Rede war, dass die Sechsfachimpfung "Hexavac" möglicherweise ursächlich an den Todesfällen beteiligt sein könnte.
Und was machten die Behörden?
Sie organisierten mit medialem Getöse eine umfassende Studie, welche drei Jahre lang alle Todesfälle bei Babys und Kleinkindern im Alter von 2 bis 24 Monaten in Deutschland untersuchen sollte, die so genannte TOKEN-Studie. Die Studie sollte ein für alle Mal klären, ob die Babyimpfungen so sicher waren, wie das die Behörden und die Herstellerfirmen immer behauptet hatten.

Kurz nachdem diese Studie zur Jahresmitte 2005 gestartet wurde, zog der Hersteller des Marktführers "Hexavac" vollständig überraschend seinen Sechsfach-Impfstoff vom Markt zurück. Angeblich deshalb, weil Bedenken aufgetreten seien, dass die Hepatitis-B Komponente des Impfstoffes doch nicht so lange wirkt, wie man das gehofft hatte.
Mit dem Risikosignal für die geimpften Kinder hatte das selbstverständlich gar nichts zu tun.

Die Studie wurde nun also in Abwesenheit des Haupt-Verdächtigen weiter geführt. Einziger verbliebener Sechsfach-Impfstoff ist seitdem "Infanrix hexa" ebenfalls ein Produkt des Pandemrix-Herstellers GSK. Doch es schadet ja nicht, auch hier nach dem Rechten zu sehen, zumal den Babys ja nicht nur die Sechsfach-Spritze gegeben wird, sondern sich in den letzten beiden Jahrzehnten im Impfplan zahlreiche neue Impfungen angesammelt haben und zahlreiche Kinderärzte und Eltern mittlerweile Sorgen haben, ob das dem heranreifenden Immunsystem der Babys nicht irgendwann zu viel sein könnte.

Viele warteten also mit Spannung auf die Ergebnisse der Token Studie. Die Studie war 2005 gestartet worden und sollte drei Jahre dauern. Ich wandte mich also im April 2008 erstmals an die durchführende Behörde - in diesem Fall das Berliner Robert Koch Institut - und fragte an, wann denn mit den Resultaten zu rechnen sei.
Die Antwort lautete folgendermaßen:
Sehr geehrter Herr Ehgartner,

wir freuen uns über Ihr Interesse an unserer Studie.
Wir werden Sie gerne nach Abschluss der Studie über die Ergebnisse informieren, dies wird aber erst im ersten Quartal 2009 möglich sein.

Für weitere fragen stehe ich Ihnen gerne unter 030 18754 3322 zur Verfügung

Mit freundlichen Grüßen

Nadin Watzke
Robert Koch-Institut
Studiensekretärin der TOKEN-Studie

Naja, das erste Quartal 2009 ist nun schon einige Zeit Geschichte.
Ich meldete mich noch einige Male und wurde zunächst auf Frühling, dann auf Herbst 2010 vertröstet. Nun halten wir bei 2011 und es sind noch immer keine Ergebnisse publiziert.

Auch der wahrscheinliche Grund für die Verspätung ist typisch für den Umgang der Behörden mit dem heiklen Thema Impfstoff-Sicherheit.
Zur Finanzierung dieser hoch sensiblen Studie wurden nämlich ausgerechnet die beiden Herstellerfirmen angeschnorrt. Ein wirkliches Armutszeichen für eines der reichsten Länder der Welt.
Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline machten das natürlich gerne und übernahmen sofort den Großteil der Kosten. Aber natürlich gab es das Geld nicht ohne Gegenleistung.
Die beiden Impfstoff-Hersteller bekamen das Recht zugesprochen, vor Veröffentlichung der Studie Einblick in die Ergebnisse zu nehmen und Stellung zu beziehen.

Nun gibt es, wie man hört, hinter den Kulissen "erhebliche Abstimmungsprobleme" bei der Interpretation der Ergebnisse. Abstimmungsprobleme, die sich nun bereits zwei Jahre über den vom Robert Koch Institut genannten Veröffentlichungstermin hinziehen.
Es wird also gezogen und gezerrt - und das macht kein gutes Gefühl, wenn man an die vielen Babys denkt, die täglich mit diesen Arzneimitteln vorbeugend geimpft werden.
Was kam also bei der TOKEN-Studie raus? - Und was wird hier zurück gehalten? Es ist höchste Zeit, dass sich die Gesundheitspolitik dieser Miss-Stände annimmt und hier endlich für Transparenz sorgt.

In der UAW Datenbank des Paul Ehrlich Institutes sind mittlerweile 125 Todesfälle (mit Stand Ende Juni 2010) in zeitlichem Zusammenhang mit Sechsfachimpfungen eingetragen.
Zumindest bei Todesfällen scheint sich die Meldemoral der Ärzte gebessert zu haben.

Doch wer behandelt die Narkolepsie der Behörden?