Donnerstag, 18. November 2010

Heute Film mit Diskussion in Maria Anzbach



Heute, Donnerstag ab 19 Uhr, wird in Maria Anzbach (Burgstall 2) der Film "Impfen - Spielball Mensch" von Anita Schrittwieser und Elisabeth Blum gezeigt. Ich bin als Medizinjournalist für den Film interviewt worden und werde anschließend für eine Diskussionsrunde zur Verfügung stehen.

Mittwoch, 3. November 2010

Comeback der Sonnenkur

Wer sich die altehrwürdigen Sanatorien in den „Luftkurorten“ Österreichs oder der Schweiz an sieht, dem stechen vor allem die großzügigen Sonnenterrassen ins Auge. Hier sollten die Kranken täglich einige Stunden verbringen um bei guter Luft und den wohltuenden Strahlen der Sonne Heilung zu erlangen. „Das Sonnenlicht führt reine positive Lebensgeister aus dem kosmischen Äther mit sich“, heißt es etwa in einer „Anleitung zur Sonnenkur“ aus dem 19. Jahrhundert. Kurorte wie Davos, oder die bekannten Sanatorien am Semmering warben mit ihren zahlreichen „Sonnentagen“, welche den Gästen auch dann noch Sonnenbäder ermöglichten, wenn die Täler längst in den Herbst- und Winternebeln versunken waren.

Seit dieser Zeit hat der Ruf der Sonne einige Schrammen abbekommen. Ausgehend von der hohen Hautkrebsrate der Australier ging über mehrere Jahre ein regelrechte Lawine von Schockmeldungen durch die Medien. Sonne wurde zum Synonym für Melanome – die bösartigste Form von Schwarzem Hautkrebs. Und an manchen Stränden hatte man den Eindruck, die Designer der aktuellen Bademode seien allesamt strenggläubige Taliban. Wer seine Haut dennoch der Sonne aussetzen wollte, wappnete sich – angeleitet durch die mediale Hysterie – mit einem Sonnenschutzfaktor von 25 aufwärts.

Mittlerweile ist die Kampagne etwas abgeebbt. Studien erscheinen, die keinen Unterschied finden zwischen dem Hautkrebs-Risiko traditionell verhüllter Moslem-Frauen und jenen, die nichts dabei finden im Bikini an den Strand zu gehen. Zudem zeigt sich bei Hautkrebs, ebenso wie bei den meisten anderen Krebsarten ein deutliches Nord-Süd Gefälle. Ebenso bei Osteoporose, Rachitis und bei vielen Krankheiten der Seele. Unser Problem scheint demnach eher der Mangel an Sonne.

Langsam erlebt die Einsicht ein Comeback, dass der Stern, dem wir alles Leben auf Erden verdanken, doch nicht so schlecht sein kann. Über neue wissenschaftliche Erkenntnisse materialisieren sich nun auch die „Lebensgeister“, die im Sonnenlicht enthalten sind. Es handelt sich dabei vor allem um Vitamin D, das über den Einfluss von UV-Strahlen in den äußeren Hautschichten gebildet wird und im Stoffwechsel wesentlich effektiver verwertet werden kann als über Nahrungsmittel oder Vitaminpillen. Immer mehr Mediziner raten deshalb dazu, wann immer sich die Gelegenheit bietet, Sonne zu tanken – speziell im Herbst und Winter. Und besonders gilt dieser Rat – so wie in den alten Zeiten der Sonnenkuren – für kranke und gebrechliche Menschen. Die generelle Einführung von Sonnenterassen in Alten- und Pflegeheimen – und die eifrige Nutzung derselben, wäre demnach ein konsequenter und vor allem heilsamer Schritt.

Dieser Kommentar erschien in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift LebensWEGE.

Dienstag, 2. November 2010

Der Streptokokken-Kosmos

Einerseits harmlose und überall vorhandene Bakterien, andererseits gefährliche Krankheitserreger, die plötzlich Organe befallen und jährlich eine Million Kinder töten. Ein aktuelles GEN-AU Projekt befasst sich mit der geheimnisvollen Interaktion zwischen Streptokokken und Immunabwehr. Ziel sind leistbare Impfstoffe mit möglichst universeller Wirkung.

Als Bill Gates Mitte Juli anlässlich des internationalen AIDS-Kongresses in Wien war, fuhr er auch zum Campus Vienna Biocenter in den dritten Bezirk und stattete der Firma Intercell einen Besuch ab. Denn hier gedeiht eines der viel versprechendsten Impfstoff-Projekte für Entwicklungsländer, welches der Microsoft-Gründer mit seiner Bill & Melinda Gates Foundation kräftig unterstützt. „Es handelt sich um eine universelle Pneumokokken-Impfung“, sagt Eszter Nagy, die Chefin des Forschungs-Departments bei Intercell. „Im Gegensatz zu den derzeit am Markt befindlichen Produkten soll unser Impfstoff gegen alle Serotypen gleichermaßen wirken und das bei wesentlich niedrigeren Herstellungskosten.“
Pneumokokken zählen zu den Streptokokken und zeigen die "dunkle Seite" dieser normalerweise harmlosen Bakterienart. Pneumokokken-Infektionen verursachen jährlich etwa eine Million Todesfälle bei Kindern, mehr als 90 Prozent davon in den Entwicklungsländern. Über die Organisation „PATH“ finanziert die Gates-Foundation 60 Prozent der Entwicklungskosten, sowohl in der präklinischen Forschung wie auch der vor wenigen Monaten absolvierten "Phase-1-Studie". Hier wurde zum ersten Mal die Sicherheit und Verträglichkeit des neuen Impfstoffes am am Menschen getestet, und zwar an dreißig gesunden Männern. Die Daten sind noch nicht publiziert. Laut Nagy waren die Resultate jedoch sehr ermutigend. „Der Impfstoff erwies sich bislang als sicher und immunogen.“ Nun wird bereits der Fahrplan für die weitere Vorgangsweise – von der Organisation der großen Zulassungsstudien in Afrika bis zur Markteinführung diskutiert. Bis zum fertigen Produkt ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Zum Know-How, das die vor zehn Jahren gegründete Intercell in dieses Vorhaben einbrachte und laufend einbringt, trägt ein im Rahmen von GEN-AU unterstütztes experimentelles Forschungsprojekt kräftig bei, das die Erkundung der Mechanismen und der Modulation des Immunsystems beim Kontakt mit verschiedenen Streptokokkentypen zum Ziel hat. Das mit knapp 250.000 Euro geförderte Programm startete vor zwei Jahren und läuft noch bis Anfang 2012. Wichtige Partner von Intercell sind zwei weitere Institute am Campus, die zu den Max F. Perutz Laboratories gehören, sowie das Team von Beatrix Grubeck-Löwenstein vom Institut für biomedizinische Altersforschung in Innsbruck. Bislang haben sich bereits mehrere interessante Publikationen aus der Kooperation ergeben.
Nagy sieht die Förderung der Grundlagenforschung als Basis für viele weitere Programme, die künftig aus den generierten Daten entstehen werden. Vor allem soll versucht werden, die vielen Details der zellulären Immunantwort beim Kontakt mit den Pneumokokken-Antigenen im Impfstoff zu erklären.
Der Intercell Impfstoff unterscheidet sich von den herkömmlichen Produkten gleich mehrfach. Die derzeit am Markt befindlichen Impfstoffe schützen gegen 10, bzw. 13 der insgesamt 90 Pneumokokken-Serotypen. Weil die Bakterien aber ständig trachten, der Immunabwehr zu entkommen, variierien sie den Code ihrer Virulenz-Faktoren. Sobald es einen Immun-Response gibt, ist das Bakterium in der Lage, die Sequenz dieses Antigens zu verändern und sie können in der Folge der Immunabwehr entkommen. Aus dem Druck der Impfungen über das Immunsystem entwickelt sich hier ein Replacement Effekt, der jene Bakterien begünstigt, die ihren Code ändern. Und das passiert bereits. Tatsächlich sind bereits wieder neue Impfstoffe gegen 15 und noch mehr Serotypen in Entwicklung. „Es wäre jedoch viel zu komplex, mehr als 20 Antigene an Proteine zu koppeln“, sagt Nagy. „Bei diesem Ansatz gibt es also ein gewisses technologisches Limit.“

Ein Impfstoff gegen alle Pneumokokken

Mit einer im eigenen Haus entwickelten Genom-Technologie zur Identifizierung geeigneter Impfstoff-Antigene scannte sie mit ihrem Team deshalb alle 2000 Proteine der Pneumokokken auf ihre Eignung als Angriffspunkt für den Impfstoff. Dazu wurde zunächst Serum von Patienten gesammelt, die sich gerade von einer Pneumokokken-Krankheit erholten. „Wir isolierten die Antikörper aus dem Serum und sahen, welche Antigene der Pneumokokken das Immunsystem während der Krankheit ansteuerte“, erklärt Nagy. Nach diesem Vorbild wurden auch die Antigene für den Impfstoff ausgesucht. Am Ende blieben drei übrig.
Diese drei Proteine spielen eine wichtige Rolle in der Vervielfältigung der Bakterien. Sie werden dafür gebraucht, die Zellwand der Bakterien während der Teilung wieder neu aufzubauen. „Damit haben wir einen vollkommen neuen Typus von Impf-Antigenen gefunden“, freut sich Nagy. Damit war man auch nicht mehr, so wie bei den herkömmlichen Pneumokokken-Impfstoffen, auf die Virulenz-Faktoren angewiesen. „Wir haben also ein Ziel ausgewählt, das sehr stabil ist und gleichzeitig im Lebenszyklus der Bakterien eine Schlüsselrolle spielt.“ Damit ergibt sich eine theoretische Wirksamkeit gegen alle Pneumokokken-Serotypen und damit auch eine ideale Eignung für Entwicklungsländer, wo ganz andere Serotypen vorherrschen als in Europa oder den USA.

Neuartiger Wirkverstärker "IC-31"

Wesentlich für die Wirksamkeit ist bei Impfstoffen stets das verwendete Adjuvans, ein Wirkverstärker, der die Immunreaktion auf die Antigene steigert. Auch hier baut Intercell mit dem neuartigen vollsynthetischen Adjuvans IC-31 auf eine neue Technologie, die gegenüber den bisher hauptsächlich verwendeten Aluminium-haltigen Adjuvantien deutliche Vorteile hat. Während diese seit Jahrzehnten verwendeten Hilfsstoffe eher die Bildung von Antikörpern forcieren, induziert IC-31 vor allem eine zelluläre Immunität. „Wir wissen aus der klinischen Forschung, dass bei Krankheiten im Zusammenhang mit Pneumokokken dieser T-Zell-Response speziell in Form der Th17 Zellen von vordringlicher Bedeutung ist“, sagt Nagy. „Das Adjuvant IC-31 löst in der Tat eine so starke Immunantwort aus, dass es vielleicht sogar möglich wird, einen Befall mit Pneumokokken zu eliminieren und die Kolonisierung rückgängig zu machen.“ Im Vergleich dazu ist die Funktionsweise über die Antikörper-Antwort deutlich langsamer, weil es mehrere Tage dauert, bis hier die Produktion in Schwung kommt. Bei einer heftigen Infektionslage wie in manchen Ländern Afrikas, könnte das aber eine Frage von Leben oder Tod sein.

Ob der Impfstoff sogar therapeutisch eingesetzt werden kann, ist derzeit laut Nagy noch ungewiss. „Wir werden prüfen, ob es möglich ist, die Bakterien zu eliminieren, wenn die Kinder bereits kolonisiert sind.“ Davon hängt es auch ab, ob es theoretisch möglich wäre, den Organismus komplett zu sterilisieren und die Pneumokokken dauerhaft abzuwehren. „Aber es kann sein, dass das gar nicht erstrebenswert ist“, sagt Nagy, „denn sie gehören schon zur kindlichen Flora.“ Ein Möglichkeit wäre es, die Bakterien-Anzahl, zu reduzieren und auf einem niedrigeren Level zu halten. „Dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sie ausschwärmen und z.B. Mittelohrentzündungen, Lungenentzündungen oder Meningitis machen, verringert.“

Antibiotika machen Pneumokokken aggressiver

Bleibt die Grundsatz-Frage bei allen diesen Krankheiten: Warum schwärmen diese Bakterien überhaupt aus und befallen plötzlich Organe oder gehen ins Blut?
Dazu gibt es noch keine gesicherten Antworten aber immerhin einige Theorien, erklärt Nagy. Demnach spiele die Bakterienlast eine Rolle, die ein Mensch abbekommt. Je mehr Bakterien, desto schwieriger sei es für die Immunabwehr, das zu kontrollieren. Wenn dazu noch eine virale Koinfektion auftritt, wie das speziell bei Kindern sehr häufig ist, können die Bakterien leichter in normalerweise steriles Gewebe vordringen.
„Und schließlich“, erklärt Nagy, „gibt es bestimmte Stränge, die virulenter sind als andere.“ Dazu tragen auch Antibiotika ihr Teil bei. Sie erhöhen den Virulenz-Faktor der Bakterien und diese werden in der Folge aggressiver. Man kann, warnt Nagy, die Pneumokokken also auch über eine eigentlich gut gemeinte Therapie aufwecken und von friedlichen Besiedlern zu bösartigen Krankheits-Erregern machen. Der Grat ist schmal.
Und dieses Phänomen gilt es auch bei den zukünftigen Impfstoffen zu beachten. Denn so gefährlich die Bakterien wüten können, so verheerend kann auch der Gegenschlag des Immunsystems sein. Von der großen Grippe-Pandemie im Nachkriegswinter 1918/19 weiß man, dass die meisten Todesfälle nicht von den Viren- und den nachfolgenden Bakterien-Infektionen ausgelöst wurden, sondern von einer atypisch heftigen Reaktion des Immunsystems. Eine Impfung darf also keinesfalls diese Geister wecken. „Bislang sahen wir jedoch nur sehr milde Verläufe“, gibt sich Nagy optimistisch.

Dieser Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift genosphären. Siehe auch das zugehörige Interview mit Eszter Nagy.

Montag, 1. November 2010

"Vakzinologie ist kein Penny Markt"

Eigentlich sind Streptokokken ganz normale Mitbewohner am Menschen: rundliche, grampositive Bakterien, die etwa ein Tausendstel Millimeter messen und sich bevorzugt in Ketten anordnen. Zum Beispiel in der Mundhöhle, auf den Schleimhäuten des Rachens oder in der Flora des Darms. Solange die Streptokokken an ihrem Platz bleiben sind sie nützliche Mitglieder der Bakteriengesellschaft. Medizinisch werden sie etwa zur Vorsorge gegen Paradontose eingesetzt oder als Kultur zum Wiederaufbau der Darmflora nach Antibiotika- oder Pilzbehandlung. Böse können die Folgen jedoch sein, wenn Streptokokken zu wandern beginnen und Organe befallen. Berühmt-berüchtigt ist die etwa 90 Serotypen zählende Untergruppe S. pneumoniae. Diese "Pneumokokken" gehören zu den bedeutsamsten Krankheitserregern des Menschen. Sie verursachen unter anderem Pneumonie (Lungenentzündung), Otitis Media (Mittelohrentzündung) und Meningitis (Gehirnhautentzündung). Bereits vor mehr als 60 Jahren wurde ein Polysaccharid-Impfstoff auf den Markt gebracht, der auch heute noch für ältere Menschen empfohlen wird. Er besteht aus den unveränderten Zuckermolekülen der Kapsel und richtet sich gegen 23 Pneumokokken-Typen. Damit sollte er 90 Prozent der Erkrankungen abdecken. Bei Kindern, die noch keine Kontakte mit Pneumokokken hatten, ist der 23-valente Impfstoff jedoch unwirksam und auch sonst gilt er nicht gerade als Highlight. Erst im Vorjahr bescheinigte ihm eine Meta Analyse der vorhandenen Literatur, die von Wissenschaftlern der Universität Bern durchgeführt wurde „keinen Schutz vor Lungenentzündung“ und auch „keinen nachweisbaren Überlebensvorteil“ für die Geimpften.
Deutlich besser ist die Bilanz eines im Jahr 2000 in den USA (und 2001 in der EU) zugelassenen 7-valenten Konjugat-Impfstoffes, der für Säuglinge ab zwei Monaten, sowie Erwachsene ab 60 Jahren empfohlen wurde und heute in den meisten Ländern zu den obligaten Kinderimpfungen zählt. Bei diesem Impfstoff ist die Wirksamkeit verstärkt worden, indem die Polysaccharide der Bakterienkapsel an eine entgiftete Variante des Diphtherie-Proteins konjugiert wurden. Damit ließ sich nun auch bei Steptokokken-naiven Säuglingen eine Immunantwort auslösen. Bereits kurz nach der Einführung der Impfung in den USA zeigte sich eine Reduktion der invasiven Pneumokokken-Erkrankungen bei den Kindern um zwei Drittel.
Dieser Effekt hat sich in den letzten Jahren allerdings deutlich abgeschwächt, weil Erkrankungen durch nicht in der Impfung enthaltene Serotypen stark zugenommen haben. Diesem so genannten „Replacement-Effekt“ versuchen die Impfstoff-Hersteller nun damit zu begegnen, dass sie neue Produkte auf den Markt brachten, die nun gegen zehn, bzw. dreizehn Serotypen Schutz bieten. Für breite Impfkampagnen in Entwicklungsländern, wo Pneumokokken zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern zählen, sind diese Impfstoffe mit Verkaufspreisen jenseits von 200 US-Dollar jedoch viel zu teuer. Zudem unterscheiden sich die dort grassierenden Serotypen deutlich von der Verteilung in den Industrieländern.
Das Wiener Unternehmen Intercell, das sich - laut Firmen-Slogan auf die Entwicklung von "smart vaccines" spezialisiert hat, hat nun einen Impfstoff in Entwicklung, der gegen alle Pneumokokken-Stämme wirken soll.
Ich sprach darüber mit Intercell-Forschungsleiterin Eszter Nagy.


Bei Pneumokokken gibt es bereits einige Impfstoffe am Markt, die soeben noch einmal in einer verbesserten Version neu aufgelegt wurden. Was war für Sie als Forschungsleiterin von Intercell der Grund, ebenfalls auf diese Indikation zu setzen?

Nagy: An Pneumokokken Infektionen stirbt in Entwicklungsländer jedes sechste Kind. Diese Krankheit hat ein Ausmaß – vergleichbar der Malaria. Die bisherigen Impfstoffe schützen nur vor einem kleinen Teil dieser Bakterien. Wir haben eine Technologie entwickelt, mit deren Hilfe wir andere Angriffspunkte bei den Bakterien ausgewählt haben. Antigene, die vom Bakterium nicht verändert werden konnten, weil sie für den Lebenszyklus der Pneumokokken unbedingt notwendig sind. Deshalb sollte unser Impfstofff – von seinem Wirkprinzip her – vor allen 90 Pneumokokken-Typen schützen.

Wissen Sie bereits, ob er das auch tatsächlich tut?

Nagy: Bislang haben wir die Ergebnisse der ersten Studienphase. Bei Tests an 32 gesunden Erwachsenen erwies sich unser Impfstoff bislang als sicher und immunogen. Nun werden die größeren Zulassungsstudien in Afrika organisiert, in denen konkret die Wirksamkeit in Kindern getestet wird.

Die in Europa erhältlichen Impfstoffe sind unglaublich teuer. Der Marktführer ‚Prevenar 13’ kommt für die Grund-Immunisierung auf einen Preis von mehr als 300 Euro.

Nagy: Derzeit machen wir im Bereich der Vaccinologie gerade eine Revolution durch. Das war früher ein Penny-Markt, wo eine Impfung 50 Cents gekostet hat. Es kommen laufend unkonventionelle Produkte auf den Markt, allen voran die hochpreisige Impfung gegen Humane Papillomaviren, die Auslöser des Zervix-Karzinoms. Prevenar ist ebenso erfolgreich und enorm teuer.

Sollten diese Impfungen nicht vorwiegend in Entwicklungländern eingesetzt werden, wo die Krankheiten viel schwerwiegender sind?

Nagy: Ja, aber sie benötigen eine wesentlich billigere Alternative, sonst können das Entwicklungländer überhaupt nicht einsetzen. Der Impfstoff, den wir derzeit entwickeln wird billiger sein. Das heißt jetzt nicht, dass wir ihn in den Industrieländern um 50 Cents verkaufen. Die Produktionskosten liegen aber deutlich unter jenen der anderen Impfstoffe.

Wie sieht es denn mit Ihrem Zeitplan aus?

Nagy: Hier hängt vieles von unseren Partnern, etwa der internationalen Nonprofit-Organisation PATH, die durch die Bill Gates Foundation finanziert wird, ab. Es müssen Studien in Afrika organisiert werden um die Wirksamkeit bei einer hohen Erkrankungswahrscheinlichkeit zu messen. Nachdem wir die Sicherheitsdaten haben, können wir hier näheres sagen.

Auch einige andere Streptokokken können Krankheiten auslösen. Sind hier auch Impfstoffe in Arbeit?

Nagy: Ja, wir haben ein Projekt mit Streptokokkus pyogenes, das beim Menschen Scharlach und Mandelentzündungen auslösen kann. Mandelentzündungen sind keine tödliche Krankheit, aber die Ursache für 70 Prozent der Antibiotika-Verschreibungen bei Kindern, was in der Folge wieder zu Resistenzen führt. Ein anderes Streptokokken Projekt bezieht sich auf S. agalactiae, welches Sepsis in Neugeborenen verursachen kann, speziell bei Frühgeborenen. Hier wollen wir eine passive Immuntherapie entwickeln, wo wir frühgeborenen Babys monoklonale Antikörper verabreichen, präventiv.

Das klingt nach Produkten mit guten Marktchancen. Wozu braucht es da noch öffentliche Forschungs-Gelder wie im Rahmen des GEN-AU Projektes?

Nagy: Das Gen-AU Projekt war sehr experimentell als wir damit vor zwei Jahren begonnen haben. Wir hatten auch noch keine Partner an Bord. Dieses Förderungsprojekt half, die zelluläre Immunantwort auf die Pneumokokken-Antigene im Impfstoff zu erklären, und hat zahllose Daten generiert, die nun auf andere Programme angewendet werden können.

Sie sind im Jahr 1999 einer Einladung des Intercell Gründers Alexander von Gabain gefolgt und aus den USA nach Wien übersiedelt. Vermissen Sie die USA manchmal?

Nagy: Nein, gar nicht. Ich wollte mit meiner Familie immer in Europa leben. Außerdem haben wir bei Intercell ein sehr internationales Flair, der Job wirklich aufregend. Ich lebe wirklich gerne in Wien, liebe die sehr kosmopolitische Atmosphäre hier. Und nicht zuletzt freut es mich natürlich, dass mein Heimatland Ungarn so nahe gelegen ist.

Sie haben die Arbeit in der Impfstoff-Industrie einer universitären Karriere vorgezogen. Passierte das durch Zufall oder geplant?

Nagy: Es war wirklich eher Zufall. Aber ich profitiere sehr von meiner medizinischen und wissenschaftlichen Ausbildung. Die Vorteile, für ein privates Unternehmen zu arbeiten, liegen in der Chance, neue wissenschaftliche Erkenntnisse sehr rasch praktisch umzusetzen. Es ist für mich sehr motivierend, wenn ich über die Entwicklung neuer Medizinprodukte persönlich zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen beitragen kann.

Eszter Nagy, MD, PhD,absolvierte ihr Studium der Medizin und der Molekularbiologie an der Universtiät Pecs und verbrachte fünf Jahre an verschiedenen Universitäten der USA. Zu Intercell kam sie 1999 auf Einladung des Intercell Gründers Alexander von Gabain. Seit 2005 leitet sie den gesamten Forschungsbereich mit derzeit rund 45 Wissenschaftlern. Eszter Nagy lebt mit Ihrer Familien in Wien. Ihr Sohn Bence, 18, beginnt gerade sein Medizin-Studium, Tochter Fanni, 15, besucht das Akademische Gymnasium. Ehemann Tamas Henics ist ebenfalls Mediziner und Wissenschaftler und wechselte im Juni von den Max Perutz Laboratories in Wien zu einem ungarischen Biotech-Unternehmen im Grenzbereich zu Österreich.

Dieses Interview erschien im Rahmen der "Serie Projektleiter" auf der Webseite von "GEN-AU" - Genomforschung in Österreich.