Freitag, 23. April 2010

Pap-Abstriche: "Viele Ärzte verstehen die biologischen Hintergründe nicht"

Die Grazer Sozialmedizinerin Eva Rasky über die fragwürdige Qualität der hiesigen Pap-Abstriche, gynäkologische Standesinteressen und ihre Hoffnung auf  Schadensbegrenzung für die Frauen.

Ehgartner: Was würde denn ein Programm zur Früherkennung des Zervix-Karzinoms – also ein organisiertes Pap-Screening den Frauen bringen?

Rásky: Man könnte endlich auf allen Ebenen Qualitätssicherung einführen und die bestehenden Mängel beheben. Es gibt etwa keine wissenschaftliche Grundlage dafür, bei den Frauen so häufig den Abstrich zu machen. Eine Frequenz von sechs bis zwölf Monaten ist international längst nicht mehr zeitgemäß. Viele gynäkologische Fachvertreter geben ja auch zu, dass die jährlichen Kontrollen deshalb beibehalten werden sollen, weil die Qualitätsmängel bekannt sind.  

Ehgartner: Auf der Homepage der Gynäkologen-Gesellschaft klingt das aber ganz anders: Da wird das kurze Untersuchungs-Intervall als Garant dafür genannt, dass kein Zervix-Karzinom übersehen wird.

Rásky: Das ist dadurch nicht sicher gewährleistet. Auch wenn ich regelmäßig zum Abstrich gehe, habe ich keine Sicherheit, dass ich kein Karzinom bekomme. Das liegt am Pap Abstrich. Es gibt keinen Früherkennungstest der 100% sicher ist. Außerdem kann es neben der Beurteilung des Pap-Abstriches auch Abnahmefehler des Gynäkologen geben. Das halbjährliche Intervall bietet also keine Sicherheit, dass nicht doch etwas übersehen wird und gleichzeitig erhöht es das Risiko, dass bei den Frauen Fehlalarm ausgelöst und übertherapiert wird.

Ehgartner: Von Gynäkologen hört man die Sorge, dass eine Verlängerung der Frequenz schlecht für das Geschäft wäre, weil ja der Krebsabstrich für Frauen einer der wichtigsten Anlässe ist, zum Gynäkologen zu gehen.

Rásky: Das ist tatsächlich ein Problem. Das Screening ist eine der Haupteinnahmequellen von Gynäkologen, weil ja dabei zusätzlich Diagnose und Therapie durchgeführt werden kann, etwa eine Ultraschalluntersuchung. Aber prinzipiell muss die Frage gestellt werden, welches Interesse höher zu bewerten ist. Wenn ausschließlich niedergelassene Ärzte bestimmen, wie die Früherkennung gestaltet wird, dann zeigen die Befunde in Österreich, dass die Qualitätssicherung leider zu kurz kommt.

Ehgartner: Finnland hat 5-Jahres-Abstände beim Pap-Abstrich und gleichzeitig wird nur halb so oft ein Zervix-Karzinom diagnostiziert wie bei uns. Wie ist das erklärbar? Unterscheiden sich die finnischen Frauen biologisch so stark von Österreicherinnen? Ist es denkbar, dass die Hälfte der Krebsdiagnosen auch bei uns wieder verschwinden würden, wenn man nicht so oft nach sieht?

Rásky: Insgesamt gibt es ein Nord-Süd und ein Ost-Westgefälle in den Inzidenzen. Aber natürlich ist ein Teil dadurch zu erklären. Je häufiger sie Abstriche nehmen, desto häufiger haben sie Krebs-Fehlalarm.  

Ehgartner: Liegt das daran, dass Infektionen mit den humanen Papillomaviren auftreten und dann wieder verschwinden?

Rásky: Das Risiko Krebs zu entwickeln ist bei über 35jährigen Frauen mit lang andauernder HPV-Infektion höher als ohne Infektion. Die Infektion entwickelt sich in der Regel spontan zurück und damit auch die Zellveränderungen. Daher wird ein HPV-Test für Frauen unter 35 Jahren heute generell nicht empfohlen. In dieser Altersgruppe bestehen häufig akute Infektionen und dadurch bewirkte Zellveränderungen, die sich aber spontan wieder zurückbilden. Zu häufig würde die Testung daher zu einer Beunruhigung der Frauen führen. Das hätte auch nur den Effekt, dass alle aufgeschreckt sind und die Frauen beispielsweise glauben, dass der Partner fremd gegangen ist und sie deshalb jetzt Krebs kriegen.

Ehgartner: Man erzeugt also eine starke Verunsicherung.

Rásky: Ja. Die Vielzahl der abnormen Test-Resultate mit Ergebnis Pap III und höher ist eines der Hauptargumente für ein organisiertes Screening. Bevor in Großbritannien die Qualitätssicherung gemacht wurde, kamen auf einen vermiedenen Todesfall am Zervix-Karzinom 1.955 auffällige Pap-Befunde. Heute im qualitätsgesicherten Programm konnte das auf 150 reduziert werden.

Ehgartner: Es gibt also zehnmal weniger Fehlalarm und dementsprechend weniger unnötige Eingriffe?

Rásky: Ja, in Österreich führt die Feststellung der Veränderungen jährlich zu etwa 5000 Konisationen – das sind unter Narkose durchgeführte Operationen an der Zervix. Damit steigt das Risiko der Frauen eine Frühgeburt zu erleiden.

Ehgartner: In Finnland gilt ein Mindestalter von 30 Jahren für den ersten Pap-Abstrich. In England und den Niederlanden liegt es im Schnitt bei 25 Jahren. Wie steht denn derzeit bei uns die Diskussion dazu.   

Rásky: Die Realität in Österreich ist oft, dass der erste Abstrich bei der ersten Pillenverschreibung abgenommen wird. In dieser Altersgruppe kommt es selten zu einem Krebs. Die Früherkennung ist daher vom Kosten-Nutzen Verhältnis ungünstig. Daher testet man in den Ländern mit organisiertem Screening in dieser jungen Altersgruppe nicht. In Österreich ist es jedoch in allen Köpfen verankert, dass Screening auf jeden Fall gut ist. Auch viele Ärzte verstehen die biologischen Hintergründe und die Probleme die Früherkennung auch verursachen kann, leider nicht.

Ehgartner: Finnland hat die Gynäkologen von der Abstrich-Abnahme ausgeschlossen, weil die Standesvertretung Schulungen verweigert hat.

Rásky: In Großbritannien nimmt auch dafür geschultes diplomiertes Personal die Pap Abstriche ab. Wenn ich die Qualität der Abstriche sichern will – und sich die Ärzte nicht dazu bewegen lassen, daran mit zu arbeiten, so muss ich mir eine andere Berufsgruppe suchen, welche die Qualitätskriterien erfüllt.  Im Zuge der Diskussion um die Ärzteknappheit wäre es auch eine Überlegung wert, ob es wirklich notwendig ist, ein so qualifiziertes Personal wie es Ärzte sind, diese Routinetätigkeit des Abstrichs durchführen zu lassen.


Éva Rasky, (54), ist Allgemeinmedizinerin, Fachärztin für Sozialmedizin und stellvertretende Leiterin des Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universtität Graz. Ihr Forschungschwerpunkt liegt in der Prävention und der Frauengesundheit. Rasky war leitend an der von den österr. Sozialversicherungen initiierten „Qualitätsoffensive Pap-Abstrich“ beteiligt, deren Umsetzung derzeit auf Eis liegt. 
Dieses Gespräch ist die Langversion eines Interviews, das in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Profil (16/2010) abgedruckt ist. Der Begleittext ist online nicht verfügbar, entspricht aber in etwa diesem Blogbeitrag.

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