Mittwoch, 17. März 2010

Das Cholesterin-Dogma: Kulinarischer Selbstmord

Derzeit wird mein neues Buch "Gesund bis der Arzt kommt - Ein Handbuch zur Selbstverteidigung" vom Lübbe-Verlag an den Buchhandel ausgeliefert und sollte bald überall erhältlich sein.
Das erste Medium in dem es vorgestellt wurde, war ein Wirtschaftsmagazin. Kurt Langbein und Florian Kröppel gestalteten einen Beitrag für das ORF-Magazin "€CO", in dem sie das Cholesterin-Dogma zum Thema machten. Sie zeigten, wie es zum einen den gesamten Nahrungsmittel-Sektor umformte und zum anderen zur Goldgrube der Pharmaindustrie wurde.
Die immer niedriger angesetzten Grenzwerte für Cholesterin sorgen mittlerweile dafür, dass beinahe die Hälfte der Bevölkerung zu Patienten wird, sobald die Blutfett-Werte vom Labor eintrudeln. Und fortan müssen dann ein Leben lang Statine oder sonstige Cholesterin-senkende Medikamente geschluckt werden.

Es ist psychologisch hoch interessant, wie jede Zeit ihre Mythen hervorbringt. Wir schütteln heute den Kopf über den Aberglauben unserer Ahnen und mühen uns dabei nach Kräften, der nächsten Generation unsere eigenen absurden Dogmen zu hinterlassen: damit diese auch was zu lachen hat.

So setzte sich in den Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die These durch, dass es in erster Linie das Fett ist, das die Leute fett und krank macht. Speziell böse seien hierbei die gesättigten Fettsäuren, die vorwiegend in tierischen Nahrungsmitteln vorkommen: Schweinefett und Butter galten bald als Inbegriff für kulinarischen Selbstmord, Eier und das darin enthaltene Cholesterin als Garant für frühen plötzlichen Herztod.
Die Basis für derartige Weisheiten bildeten eher der Zeitgeist mit seinen Vorlieben, denn die medizinische Evidenz. Von Seiten der Wissenschaft war die Suppe von Beginn an extrem dünn. Eine an der Harvard-University vorgelegte aktuelle Meta-Analyse aller verfügbaren Studien zum Effekt der tierischen Fette findet etwa keinerlei Belege für eine Gesundheitsgefahr.

Und was im an sich gut gemeinten Ansatz der Betreiber dieser Lehre ursprünglich Leben retten sollte, ging schließlich über den Ersatz tierischer Fette durch künstlich hergestellte Trans-Fettsäuren sogar gewaltig nach hinten los. Die als "herzgesund" angepriesene Margarine aus "natürlichem Sonnenblumenöl" bestand damals in Wahrheit zur Hälfte aus Fettsäuren, die der Organismus nicht kannte und die deshalb auch nicht abgebaut werden konnten. Die Folge: permanente Mikro-Entzündungen und Zellschäden in den Blutgefäßen, die ihr Teil zum Boom der Herzkrankheiten bei trugen.

Cholesterin kam vor allem deshalb in Verruf, weil es als Teil der arteriosklerotischen Plaque identifiziert wurde. Während in der Wissenschaft darüber diskutiert wird, ob es dort eventuell im Reparaturprozess benötigt wird - und demnach sogar eine nützliche Rolle spielt, bringt die Industrie ständig neue Cholesterin-senkende Mittel auf den Markt. Dies ist auch insofern dringend nötig, weil in der Gruppe der Statine mittlerweile bei den meisten Produkten der Patentschutz abgelaufen ist und immer mehr Generika den einstigen Hochpreis-Markt überschwemmen und die Preise zerstören.
Bislang haben neue Cholesterin-senkende Wirksstoffe wie Ezetimib oder der Zusatz eines Fibrates zur Therapie keinerlei Hinweise geliefert, dass sie - außer der Senkung des Cholesterins - auch noch einen tatsächlichen Nutzen für die Gesundheit der Menschen liefern. Eine aktuelle Ezetimib-Studie zeigte sogar, dass die arteriosklerotische Plaque - trotz Senkung des LDL - weiter wächst und mehr Herzerkrankungen auftreten als in der Vergleichsgruppe.
Bis zu den Ärzten sprechen sich solche Ergebnisse nur extrem langsam durch. Und nach wie vor gilt es als oberstes Gebot, das "böse LDL-Cholesterin" massiv nach unten zu drücken. Mit Ezetimib gelingt hier eine verlässliche Senkung von 15 bis 20 Prozent binnen weniger Wochen.

Dass dieser Effekt jedoch ähnlich sinnvoll scheint, wie der Austausch von natürlichen Fetten durch Trans-Fettsäuren, davon handelt unter anderem dieser €co-Beitrag und auch mein neues Buch.

Dienstag, 16. März 2010

Die beste Medizin: "Ein Korsett an Vorschriften"

Die Ärzte stöhnen unter einer Flut an Leitlinien und Programmen, die ihre Therapien normieren sollen. Am Rande des Ende Februar abgehaltenen Kongresses für Evidenz-basierte Medizin (EBM) in Salzburg bat Bert Ehgartner den Hausärzte-Sprecher Christian Euler und Ingrid Mühlhauser, EBM-Expertin der Universität Hamburg, zur Diskussion um die Frage, was nun die beste Medizin ist.

Standard: Wie gut fühlen Sie sich denn von Seiten der Wissenschaft in ihrem Bestreben unterstützt, Ihren Patienten die bestmögliche moderne Medizin zu bieten?

Euler: Wir haben schlechte Erfahrungen. Medizin war immer eine sehr hierarchische Angelegenheit mit uns an der untersten Stelle. Das bricht jetzt langsam auf. Die Zeiten sind vorbei, wo sich die kleinen Allgemeinmediziner von den wissenschaftlichen Kapazundern die Welt erklären lassen.  Wir sind nicht mehr die Ministraten beim Hochamt der Fachgesellschaften, sondern schmeißen denen ihre Richtlinien auch mal zurück, wenn die nicht passen.

Mühlhauser: Dann müssten Sie eigentlich ein Anhänger der evidenzbasierten Medizin sein. Denn diese ermöglicht es jedem einzelnen Arzt, zu überprüfen, ob das was die Experten in ihren Leitlinien definieren, auch richtig ist. Dadurch erst wird eine Diskussion auf gleicher Augenhöhe möglich.

Euler: Es ist eine große Kunst, die richtige Medizin auf den einzelnen Patienten anzuwenden. Es wird in der Öffentlichkeit – speziell auch von der Gesundheitspolitik - aber so getan, als hätten wir bis jetzt einen Blödsinn nach dem anderen gemacht. Gottseidank waren die Patienten gesund genug, das zu überleben. Jetzt aber werden endlich alle Ärzte an die Kandare genommen und in ein Korsett aus lauter Vorschriften und Leitlinien gepresst. Doch das Gegenteil ist wahr. Wir sehen jetzt, dass jene Ärzte im Recht waren, die skeptisch geblieben sind, wenn die Grenzwerte für Blutdruck oder Cholesterin immer weiter nach unten gedrückt wurden.

Mühlhauser: Ideal wäre es natürlich, wenn das, was der Arzt in der Praxis macht, auch mit dem überein stimmt, was dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht.

Euler: Wir haben schon auch ein Studium gemacht.

Mühlhauser: Die Entwicklung seither war aber enorm.

Euler: Aber nicht immer nur nach im Guten.

Mühlhauser: Die Reflexion dessen was man tut – sich selbst immer wieder zu korrigieren, das ist ein wesentliches Element wissenschaftlichen Agierens.

Euler: Dann sagen Sie es doch den Kardiologen oder den Diabetikern: Dass es ein Wahnsinn ist, bestimmte Mittel zu empfehlen und ein Unfug, dass das in den Leitlinien steht. Etwa bestimmte neue Medikamente für Diabetes.

Standard: Wie haben Sie sich denn hier Ihre Meinung gebildet? Vertragen das die Diabetiker nicht, oder haben Sie kritische Arbeiten dazu gelesen?

Euler: Ich denke, dass so viele verschiedene Praktiker nicht irren können, wenn sie bei bestimmten Mitteln skeptisch sind. Auch wenn die Wissenschaft noch so sehr die Nase rümpft. Wenn sich eine Vorgangsweise konstant in der Praxis hält, dann muss die etwas an sich haben.

Mühlhauser: Aber das ist einer der größten Irrtümer der Medizin, so zu denken. Nur weil die Ärzte immer der Meinung waren, dass etwas richtig ist…

Euler: …und es auch den Patienten nicht geschadet hat.

Mühlhauser: Sie meinen, dass es den Patienten nicht geschadet hat. Es gibt aber leider verschiedene Beispiele, wo die Ärzte nach bestem Gewissen gehandelt haben und man dann  eine schreckliche Enttäuschung erleben musste. Berühmte Beispiele sind die Hormonersatztherapie, oder ein verbreitetes Mittel zur Behandlung von Herzrhythmus-Störungen. Als Hausarzt können Sie das nie herausfinden, ob mit dem Mittel jetzt nicht fünf, sondern zehn von tausend Leuten sterben. Dafür braucht es gut gemachte große Studien.

Euler: Beide Beispiele zeigen, dass wir nicht die Zunft sind, die es zu überzeugen gilt. Ich hatte  Kontakt mit Professoren, die gegen meinen Widerstand darauf beharrt haben, dass ich ihren Müttern bis zu deren Tod regelmäßig Östrogene verschreibe. Und das mit den Herzrhythmusstörungen müssen Sie den Kardiologen sagen.

Mühlhauser: Dann nehmen wir die Antibiotika-Behandlung bei den Mittelohrentzündungen.

Euler: Die EBM tröstet mich hier, wenn ich weiß, dass es nicht mehr Komplikationen gibt, wenn ich kein Antibiotikum verschreibe. Aber wenn ich jetzt kein Antibiotikum gebe, und die Mutter geht zwei Tage später zum Facharzt, so wird der massiv auf mich los gehen. Das ist zwar schön, dass die EBM hier auf meiner Seite ist, aber ich kann das nicht in der Praxis anwenden.

Mühlhauser: Das Problem ist dann aber die Abwesenheit von EBM.

Euler: Je höher in der Hierarchie die Leute stehen, desto wissenschaftsgläubiger sind sie. Ich war etwa im Herbst zum Höhepunkt der H1N1-Hysterie in einem Gremium, wo ich unter lauter Universitätsprofessoren der einzige Allgemeinmediziner war. Ich habe mich dort kritisch über die Impfung geäußert und alle sind über mich her gefallen. Professoren, zwanzig Jahre jünger als ich, haben ihre Kindergartenkinder mit ins Spital genommen, damit sie nur möglichst früh geimpft werden. Das ist nicht Wissenschaft, das ist Glaube.

Mühlhauser: Das kann man nicht generalisieren. Es gibt auch in Österreich Professoren, die sich bemühen, wissenschaftsbasiert zu arbeiten.

Euler: Kennt man sie? – Wer in Österreich eine Habilitation schreibt, hat einen Sponsor und dem bleibt er treu bis zur Pension.

Mühlhauser: Die Abhängigkeit von der Industrie ist ein ganz wichtiger Punkt. Und es kommt nicht von ungefähr, dass dieser Kongress hier nicht gesponsert ist und wir uns alles selber zahlen, vom Wohnen bis zur Reise.

Euler: Für uns ist das ein ganz großes Problem, dass nun die Gesundheitspolitiker meinen, sie müssten für jede Krankheit ein Programm vorlegen, weil das die dummen Ärzte sonst nicht behandeln können. Gleichzeitig lassen sie es aber zu, dass die Köpfe der Wissenschaft eingekauft sind und sich jeder Praktiker fürchten muss, vor Gericht einen Gutachter zu bekommen, der ihn ohrfeigt, weil der Arzt dem 80-jährigen keinen Cholesterinsenker verschrieben hat.

Standard: Nehmen wir mal das Beispiel Diabetes. Hier ist die Ärztekammer in Niederösterreich kürzlich aus dem an sich recht gelobten Disease-Management Programm zur Optimierung der Therapie von Diabetikern ausgestiegen. Was war denn dafür der Grund?

Euler: Es haben zehn Prozent der Ärzte mitgemacht und die Ergebnisse nach einem Jahr waren nicht überzeugend. Die Ärzte haben – entgegen ihrem Ruf – obwohl sie ein bisschen mehr bezahlt bekommen haben, das Programm wieder aufgekündigt. Wir wollen nicht, dass man uns vermittelt, unsere Ausbildung wäre nichts wert und wir müssten jetzt für die Behandlung jeder Krankheit einen eigenen Kurs machen.

Mühlhauser: Ich bin selber Diabetologin und hab mich viel mit Patientenschulung beschäftigt. Wir haben die Programme evaluiert – die Ergebnisse waren großartig. Sie sind aber nicht umgesetzt worden. Manche Ärzte machten es nur, wenn sie Lust und Laune hatten, oder einen besonderen Hang zur Patientenschulung. Ein gutes Programm sorgt dafür, dass alle Patienten das bekommen, was ihnen zusteht. Und auch, dass sie nicht übertherapiert werden.

Euler: Ich persönlich bin überzeugt, dass die Daten aus diesen Programmen auch Grundlagen für Rationierungen sein werden. Indem es eben heißt: Diesem übergewichten Diabetiker schieben wir jetzt zwei Jahre lang das geballte Wissen hinein. Und wenn er dann immer noch so fett ist, zahlt er mehr Beitrag.

Mühhauser: Ich lehne das ebenso ab, dass Patienten bestraft werden sollen, weil sie nicht abnehmen. Oder dass die Ärzte bestraft werden, weil ihre Patienten nicht abnehmen.

Euler: Das wäre ja noch toller, bei uns im Burgenland sogar ruinös.

Standard: Aber was macht man wirklich mit diesen Widersprüchen zwischen den offiziellen Programmen und den Leitlinien der Fachgesellschaften. Das widerspricht sich in vielem, wird von der Öffentlichkeit aber alles als EBM verstanden.

Mühlhauser: Das ist schon ein Problem, das wir haben. Dafür braucht es unglaublich viel Aufklärungsarbeit. Die Leute müssen irgendwann mal verstehen, dass eine Leitlinie von einer Fachgesellschaft über Experten formuliert wird und dass die nicht unbedingt Evidenz-basierte Aussagen treffen.

Euler: Wenn ich heute den pharma-unabhängigen Arzneimittelbrief lese, da muss ich mich wirklich aufrecht hin setzen, damit ich nicht einschlafe. Das ist so mühsam im Vergleich zu den bunten Inseraten, wo die einfachen Botschaften sofort ins Gehirn gehen. Wir haben einen übermächtigen Gegner. Und die Frage ist, ob die Politik den Mut hat, sich damit anzulegen.

Mühlhauser: Aber wir sind doch da, Herr Euler. Denken Sie an David gegen Goliath.


Dr. Christian Euler, 59, betreibt seit 1980 eine Praxis in Rust (Burgenland) als niedergelassener praktischer Landarzt und ist nebenher Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes. Christian Euler ist verheiratet, seine Frau Elisabeth ist ebenfalls Ärztin. Gemeinsam haben sie sieben Kinder.





Dr. Ingrid Mühlhauser, 56, ist Fachärztin für Innere Medizin, Endokrionolgin und Diabetologin. Seit 1996 bekleidet Mühlhauser eine Professur für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg. Die vehemente Verfechterin einer Evidenz-basierten Medizin engagiert sich besonders in der Patientenschulung und für deren Chance zur informierten Entscheidungs-Findung bei medizinischen Fachfragen.

Eine leicht gekürzte Version dieser Diskussion erschien am 15. März in der Tageszeitung "Der Standard".

Dienstag, 9. März 2010

"Lesen, lesen, lesen" - Teil 2

Ich habe vergangene Woche hier einen recht skurrilen Mailverkehr mit dem Wiener Onkologen Christoph Zielinski veröffentlicht, in dem ich um Belege für die von ihm behaupteten gewaltigen Überlebensvorteile bat, welche über den Einsatz von innovativen Krebs-Medikamenten erzielt worden seien.
Am 4. März ist dazu auf der Website der Medizinischen Universität Wien ein Dokument zum Download publiziert worden, das nun scheinbar die Funktion hat, die Belege für Prof. Zielinskis Angaben nachzuliefern.

Einleitend heißt es dazu:
Durch Diskussionen der letzten Wochen angespornt, hat die Klinische Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien – Medizinische Universität Wien eine Überprüfung der internationalen Datenlage zu den Ergebnissen der Therapien von Krebserkrankungen durch moderne Behandlungsstrategien vorgenommen. 

Ich habe mich in dem 20-Seiten-Dokument auf jene Krebsarten konzentriert, die Prof. Zielinski angesprochen hat:

BRUSTKREBS:

Zielinski:
Das mediane Überleben von Brustkrebspatientinnen mit fortgeschrittenen Tumoren betrug vor der Einführung dieser Mittel zwölf Monate, jetzt sind es mehr als 50 Monate

Prof. Günther Steger gibt in dem Dokument einen kurzen Überblick zum sehr heterogenen Gebiet der Brustkrebs-Erkrankungen. In einer Abbildung wird die deutliche Verbesserung der Überlebensdauer ab Metastasierung innerhalb der letzten Jahrzehnte dargestellt. Allerdings ist hier der aktuellste Zeitraum 1995-2000. Die innovativen Krebstherapien, auf die sich Zielinski bezieht, waren da noch gar nicht im Einsatz.

Steger nennt in der Folge einige Daten zu neuen Therapieformen:

  • Beim Vergleich zweier verschiedener Chemo-Kombinationen kommt es zu Überlebenszeitgewinnen von 2,8 bzw. 3 Monaten
  • Beim Einsatz von Trastuzumab (Herceptin) gibt Steger Studien an, die einen Vorteil von 8,5 bzw. 4,8 bzw. 16,7 Monate ergeben, wobei letztere Arbeit gar nicht publizert ist und daher auch nicht entsprechend nachgeprüft werden kann.
  • Zudem ist der Einsatz von Herceptin nur bei einer speziellen Unterart von Brustkrebs sinnvoll (wo HER2 überexprimiert ist). Das gilt für knapp ein Drittel der Betroffenen.
  • Beim derzeit sehr gepushten Wirkstoff Bevacizumab (Avastin) erwähnt Steger zwei publizierte Studien, die keine Verlängerung der mittleren Überlebensdauer erbracht haben
  • PARP-Inhibitoren bezeichnet Steger als Zukunfsthoffnung, sie sind aber noch nicht zugelassen. Erste Studien zeigten einen Überlebenszeitgewinn von 3,5 Monaten
  • Für Aromatasehemmer nennt Steger eine Verbesserung des Überlebens von 10-12%

Mein Fazit: Die einzige Studie, die halbwegs in die von Zielinski genannte Richtung weist, ist bislang nicht in einem Fachjournal publiziert, steht im Widerspruch zu den Vergleichsstudien mit diesem Wirkstoff und bezieht sich obendrein nur auf eine Untergruppe der Brustkrebs-Fälle.

DARMKREBS:

Zielinski:
Beim fortgeschrittenen Dickdarmkrebs wären es jetzt mehr als 30 Monate statt ehemals zwölf Monate

Hierzu gibt Prof. Werner Scheithauer an:

  • Eine kürzlich publizierte retrospektive Analyse von 2.470 Patienten mit primär metastasiertem Dickdarmkarzinom zeigte, dass die (im Zeitraum von 1990 bis 1997) noch bei 14.2 Monaten gelegene mittlere Überlebenserwartung -dank dem modernen therapeutischen Armentarium- auf mittlerweile 29.3 Monate verbessert-, also mehr als verdoppelt werden konnte
  • Die Verlängerung der Lebenserwartung von 14,2 Monaten auf 29,3 Monate entspräche also in etwa der Spanne, die Zielinski genannt hat.
  • Scheithauer bezieht sich dabei allerdings auf eine spezielle Studie, in der es gar nicht um den Einsatz der neuen Therapien geht, sondern vor allem um den lebensverlängernden Nutzen der chirurgischen Entfernung von Metastasen aus der Leber.
  • Das geht aber nur bei Patienten, die auch tatsächlich Leber-Metastasen haben. Daraus ergibt sich auch der Überlebenszeit-Gewinn.
  • Scheithauer weiter: Im Einklang mit diesen Daten konnte auch die 5-Jahresüberlebensrate von ursprünglich nur 9.1% auf mittlerweile 19.2% (trotz initialer Fernmetastasierung) angehoben werden
  • Das bezieht sich abermals nicht auf die Gesamtheit der Patienten, sondern nur auf jene, bei denen es möglich war, Lebermetastasen zu entfernen.
  • Scheithauer anschließend: Einen vergleichbar erfreulichen Trend zeigt auch die 49.459 Patienten umfassenden “Surveillance, Epidemiology and End Results“ (SEER) Datenbank, die immerhin 26% der Bevölkerung der USA erfasst (2)
  • Scheithauer versucht nun, die Ergebnisse einer Untergruppe von Patienten zu verallgemeinern. Die von ihm angegebene 5-Jahresüberlebensrate von 19,2% findet sich in den SEER Daten jedoch nicht. Sie wird dort im Zeitraum von 1999-2005 für Patienten mit Fernmetastasierung mit 11,3% angegeben.

Mein Fazit: Die einzige Studie, die hier genannt wird, bezieht sich nicht auf innovative Arzneimittel, sondern den Vorteil, den eine chirurgische Entfernung von Leber-Metastasen bietet. Diese Ergebnisse können keinesfalls verallgemeinert werden und sie werden in der erwähnten Quelle (SEER) auch nicht bestätigt.

NIERENZELLKARZNIOM:

Zielinski:
Die Überlebensrate bei Nierenzellkarzinomen habe sich von 14 auf 28 Monate verdoppelt.

Hierzu erklärt Prof. Manuela Schmidinger:

  • Vor Einführung der neuen Therapieformen in den Studien habe die durchschnittliche Überlebensrate ab Metastasierung 12 Monaten betragen, bzw. bei Patienten mit gutem bis mittlerem Risikoprofil bei 15,2 Monaten. 
  • Im Jahr 2006 wurde der Wirkstoff Sunitinib zugelassen. Hiermit ergab sich ein Überlebensvorteil von 4,6 Monaten gegeüber der Kontrollgruppe. Allerdings zeigte sich nun eine Überlebenszeit von 26,4 bzw. 21,8 Monaten.
  • Dass auch in der Kontrollgruppe die Patienten länger lebten, ist laut Schmidinger darauf zurück zu führen, dass Patienten aus ethischen Gründen erlaubt wurde, in den aktiven Studienarm zu wechseln.
  • Sie erwähnt dann noch eine Untergruppe von Patienten, bei denen ein medianes Überleben von 43,6 Monaten beobachtet worden sei.

Mein Fazit: Die Verbesserung der Überlebenszeit, die Prof. Schmidinger berichtet, ist real. Allerdings ist der Wirkstoff auf den sie sich bezieht relativ kurz im Einsatz und es muss sich erst zeigen, dass die Ergebnisse sich auch vom Studienumfeld mit seinen Besonderheiten in die Praxis mitnehmen lassen.
Sunitinib ist relativ nebenwirkungsreich und wird oft nicht vertragen - bzw. führt zu Komplikationen. Auch hier gibt es noch kaum publizierte Erfahrungen. An sich ist beim Nierenkarzinom aber am ehesten eine Übereinstimmung mit Prof. Zielinskis Aussage gegeben.


Am Ende des Dokuments der MUW werden die Verbesserungen der Überlebenszeit noch einmal zusammen gefasst.
Und zwar in dieser Art:


Diese Darstellung ist - zumindest bei den drei von mir näher betrachteten Indikationen - höchst selektiv. Es wird genau das zitiert, was zur Untermauerung der eigenen Thesen dient und das in der Folge auch noch unzulässig verallgemeinert.

Aber immerhin haben sich Christoph Zielinski und seine Mitarbeiter der Medizinischen Universität Wien damit einem inhaltlichen Diskurs geöffnet, der über den Tipp "Lesen, lesen, lesen", doch schon erfreulich hinaus geht.

Wenn mir jemand aus der wissenschaftlichen Community zu den in diesem Papier dargestellten Überlegungen eigene inhaltliche Beiträge schicken möchte, so freue ich mich und werde das auf Wunsch auch gerne hier veröffentlichen.

Montag, 8. März 2010

Beschämte Abkehr vom "Weltvirus"

Im zurückliegenden Jahr war die H1N1-Schweinegrippe - neben der Finanzkrise - das wohl beherrschende globale Thema. In vielen Medien wird derzeit Bilanz gezogen, wie klug dieser Gefahr begegnet wurde und ob die Ausrufung der Influenza-Pandemie seriöse Gesundheitsvorsorge oder ein "unkontrollierter Großversuch" an der Bevölkerung war. Manche dieser Medien haben eine scharfe Korrektur vorgenommen - und sind aus dem von der WHO ("Welt-Hysterie-Organisation" - wie der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe übersetzt) vorgegebenen Kurs ausgeschert.
Das deutsche Leitmedium hat das am eindrucksvollsten hingekriegt und hinterfragt in einer erstklassigen Aufarbeitung der "Weltkampagne gegen die Schweinegrippe - die Chronik einer Massenhysterie" (nur in der Printausgabe verfügbar) immerhin auch die eigene Rolle. Denn zu Beginn der Kampagne hat der Spiegel mit der Titelstory vom "Welt-Virus"(Heft 19/2009) noch kräftig an der Panik mitgeschürt. Das hat sich in der Folge aber radikal geändert.
Im "Stern"-Archiv finden sich 300 Beiträge zur Schweinegrippe, unzählige Videos - von Urlaubern, die sich "krank wie ein Schwein" gefühlt haben, bis zu den ersten Todesfällen in Deutschland. Nun überwiegt auch hier die Kritik - vermittelt etwa über die Aussage des Epidemiologen der Universität Münster, Ulrich Keil, der beklagt, dass über die großteils unnötigen – weil weder medizinisch sinnvollen, noch von der Bevölkerung angenommenen – Schweinegrippe-Impfstoffe "eine Milliarde durch den Schornstein gepfiffen" wurde.
Trotzig wie ein böses Kind, gibt sich hingegen die Ärzte-Zeitung in Person ihres Redakteurs Michael Hubert. Er hatte mit seinem Medium die Seuche begleitet wie ein treuer Apostel der Pharmaindustrie und stets den medialen Verstärker gespielt, wenn es galt, die lebensrettende Impfung zu bewerben, das besondere Risiko der Schwangeren herauszustreichen oder vor der nächsten und übernächsten Grippewelle zu warnen.
Nun zieht auch Hubert Bilanz und stellt sich die Frage, ob es sich bei der Milliarde tatsächlich um verbranntes Geld gehandelt habe. Seine Antwort ist insofern originell, weil er sinngemäß meint: "Na, wenn schon!" Denn, so Hubert:
Für die einmalig eine Milliarde Euro Pandemieschutz bekommt man beispielsweise ein Jahr ermäßigte Mehrwertsteuer für Hoteliers.
Soll wohl heißen: Und da hätten wir Nicht-Hoteliers ja auch nicht großartig was davon.
Wenn sich ein Medium in erster Linie ihren Inserenten verpflichtet fühlt und erst weit abgeschlagen ihren ärztlichen Lesern, so sind solche Vergleiche im Blattumfeld wohl fast schon als Fakten zu werten.
Wir selber hier im Blog hatten keine wesentlichen Gründe zum argumentativen Hakenschlagen, galt uns die "Gripperl-Pandemie" doch von Beginn an eher als praktisches Beispiel einer Leerübung im Fach "Public-Health für Dummies". Und nach dem, was hier abgeliefert wurde, stand rasch fest, dass die Lehrer die Belehrten bestenfalls an erpresserischer Aufgeregtheit, jedoch sicher nicht an Seriosität überragt haben.

"You kill your family!" - Jamies Mission

Der britische Starkoch Jamie Oliver at his best. Hier in einem temperamentvollen Vortrag, den er im Februar in einem voll-besetzten Theater in West-Virginia, dem wie er dem Publikum sagt "fettesten Staat der Welt", gehalten hat.
Olivers dramatische Performance tritt dort hin, wo es weh tut: etwa wenn er einer jungen Mutter alles auf einem Tisch aufstapelt, was sie ihrer Familie in einer Woche zum Essen vorsetzt. Einen üblen Berg aus Pizza und Burgers und Bagels - ein ekelhafter Berg von Fastfood, der nun einem Abfallhaufen gleicht. Und dazu sagt er der weinenden Frau: "You kill your family!" - Und sie entgegnet: "I know". - Das ist - inspiriert von Michael Moore - an der Grenze des Erträglichen.
In der Realität ist diese Grenze heute aber schon vielfach überschritten. Und es ist eine Schande, dass Ernährungs-Erziehung heute von Leuten wie Oliver übernommen werden muss, die eine "Food-Revolution" ausrufen um eine der größten sozialen und gesundheitlichen Katastrophen abzuwenden, auf die unsere Gesellschaft zusteuert.

Im Zentrum der Revolution steht immer der Versuch, den Menschen das "Selbst-Kochen" wieder schmackhaft zu machen. Eine Wissens-Vermittlung, die den meisten Schulen heute viel zu minder ist, um überhaupt auf dem Lehrplan zu stehen. Oder die, wenn sie in spezialisierten Fachschulen als Hauptfach am Plan steht, sofort zur Perversion wird: Wenn Tischordnungen gepaukt, Kalorien gezählt, Kunststücke gebacken und insgesamt ein Druck und ein Terror ausgeübt wird, um "Kochen" nur ja ebenso schwer und gefürchtet zu gestalten wie "Latein" oder "Mathematik". Meine Tochter hat so eine Schule besucht - und rührt seither nur mehr im Notfall einen Kochlöffel an.

Doch was für ein Fach könnte "Kochen und Ernährungslehre" sein, wenn sich fantasievolle Lehrer dessen annehmen: Menschen, die zeigen, wie schön es ist, zu genießen und Genuss zu bereiten. Leute wie Jamie Oliver geben hier einen Anstoß. In einer plakativen Dramatik, die dem Notstand, in dem wir uns befinden, durchaus angemessen ist.

Dienstag, 2. März 2010

"Lesen, lesen, lesen" - die seltsamen Ratschläge des Prof. Zielinski

Vor drei Wochen hatte ich im Magazin profil eine Coverstory zum Thema Krebstherapie. Darin ging es unter anderem um die neue Generation der Krebs-Medikamente, die bei fortgeschrittenen Karzinomen - oft zusätzlich oder gemeinsam mit den herkömmlichen Chemotherapien – eingesetzt werden.
Diese "Monoklonalen Antikörper" bzw. "Small Molecules" sind extrem teuer, bieten laut Studien im Schnitt aber gar keine - oder nur relativ geringe Vorteile in der Überlebenszeit. Abgesehen von vereinzelten Erfolgen bei seltenen Tumorarten habe sich, so der Tenor der Expertenaussagen, ab dem Stadium der Metastasierung die Gesamt-Überlebenszeit innerhalb des letzten Jahrzehntes kaum oder gar nicht verbessert.
Im Detail sieht das - laut einer Erhebung des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment so aus (Angaben aus der brandneuen Veröffentlichung: Claudia Wild, Brigitte Piso (Hrg.) "Zahlenspiele in der Medizin" Verlag Orac, Wien 2010):

Übersicht über Wirksamkeit und Kosten verschiedener neuer Krebsmedikamente bei PatientInnen mit metastasierendem Tumor
  • Tarceva® Tabl. (Erlotinib) verlängert das Leben bei Bauchspeicheldrüsenkrebs im Schnitt um 24 Tage. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 24.000 Euro.
  • Vectibix® (Panitumumab) verlängert das Leben bei Darmkrebs um 35 Tage. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 42.000 Euro.
  • Erbitux® (Cetuximab) verlängert das Leben bei Darmkrebs um 1,2 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 50.000 Euro.
  • Alimta® (Pemetrexed) verlängert das Leben bei Lungenkrebs um 1,7 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 47.000 Euro.
  • Tarceva® Tabl. (Erlotinib) verlängert das Leben bei Lungenkrebs um 2,0 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 30.000 Euro.
  • Avastin® (Bevacizumab) verlängert das Leben bei Lungenkrebs um 2,0 Monate.  Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 70.000 Euro.
  • Erbitux® (Cetuximab) verlängert das Leben bei Krebs im Kopf-/Halsbereich um 2,7 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 45.000 Euro.
  • Nexavar® (Sorafenib) verlängert das Leben bei Leberzellkarzinom um 2,8 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 58.000 Euro.
  • Nexavar® Tabl. (Sorafenib) verlängert das Leben bei Nierenzellkarzinom um 3,4 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 58.000 Euro.
  • Avastin® (Bevacizumab) verlängert das Leben bei Darmkrebs um 4,4 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 26.000 Euro.
  • Herceptin® (Trastuzumab) verlängert das Leben bei Brustkrebs um 4,8 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 42.000 Euro.
  • Avastin® (Bevacizumab) verlängert das Leben bei Brustkrebs um 6,6 Monate. Die Kosten pro Behandlung liegen bei rund 67.000 Euro.

Am selben Tag, an dem dieser Artikel erschien, war der Wiener Star-Onkologe Christoph Zielinski, Chef der Universitätsklinik für Innere Medizin I am Wiener AKH, zu Gast bei einer Pharma-Veranstaltung, in welcher der Konzern Roche einen Überblick zum Entwicklungsstand seiner neuesten Wirkstoffe gab.
(Pressefoto: www.europadonna.at)
Kollegen die an diesem "Presse-Hintergrundgespräch" teilgenommen hatten, berichteten mir, dass Zielinski einen Gutteil seiner Wortmeldungen dem Ärger über den profil-Artikel widmete. Hier ein Zitat aus dem Bericht der Austria-Presse-Agentur, der in der Folge in mehreren Medien erschien:
Zielinski, Chef der Universitätsklinik für Innere Medizin I am Wiener AKH: "Ich persönlich empfinde es als entsetzlich, in einer Kostendiskussion gewonnene Lebenszeit zu relativieren. (...) Wie kommen Menschen dazu, sich vorwerfen lassen zu müssen, dass sie krank sind und zu uns kommen, damit wir ihnen helfen sollen?"


Etwas weiter im Text wird Zielinski schließlich konkret und nennt erstaunliche Zahlen über den tatsächlichen Wert der neuen Krebsmedikamente:
Biotech-Medikamente wie monoklonale Antikörper und kleine Moleküle der sogenannten zielgerichteten Therapie hätten in den vergangenen Jahren wesentliche Vorteile gebracht. Der Onkologe: "Das mediane Überleben von Brustkrebspatientinnen mit fortgeschrittenen Tumoren betrug vor der Einführung dieser Mittel zwölf Monate, jetzt sind es mehr als 50 Monate." Beim fortgeschrittenen Dickdarmkrebs wären es jetzt mehr als 30 Monate statt ehemals zwölf Monate, bei Eierstockkarzinomen beispielsweise nun 36 statt ehemals ebenfalls zwölf Monate. Die Überlebensrate bei Nierenzellkarzinomen habe sich von 14 auf 28 Monate verdoppelt. Beim Lungenkarzinom seien die Erfolge allerdings noch geringer.

Ich war einigermaßen verblüfft, über diese Darstellung, wichen diese Zahlen doch komplett von allem ab, was mir aus der Literatur bekannt war. Wenn es tatsächlich stimmen würde, dass die neuen Medikamente das "mediane Überleben" derart massiv verlängern, wäre die Basis meines ganzen Artikels falsch - und auch die Wissenschaftler des Ludwig Boltzmann Institutes sowie viele andere, sollten sich besser neue Arbeitsplätze suchen, die ihrem Hang zur Schwarzmalerei eher entsprechen.

Ich schrieb also eine Mail an Österreichs "führenden Krebsexperten":

Sehr geehrter Herr Prof. Zielinski,
ich bin der Autor des Profil-Artikels zum Thema "Therapie bei fortgeschrittenen Tumoren", der vor drei Wochen Cover-Story war und ich habe - leider jetzt erst - gesehen, dass Sie konkret auf meinen Artikel in einer Veranstaltung bezug genommen haben. ... (APA-Zitat)
Ich habe bei meinen Recherchen keine Studien gefunden, die derartige Schlüsse erlauben. Und auch meine Gesprächspartner (z.B. Wolf-Dieter Ludwig, Dieter Hölzel, Hellmuth Samonigg,...) sprachen nur von Durchbrüchen in relativ eng begrenzten Indikationen (z.B. Imatinib bei CML).
Ansonsten gelte aber folgendes:
Zitat aus dem Interview mit Prof. Ludwig:
"Das kann man fast pauschal sagen: Viele neue Wirkstoffe können ausschließlich das Fortschreiten der Tumorerkrankung um wenige Wochen bis Monate verzögern, das Überleben aber nicht - oder nur minimal - günstig beeinflussen. Das bewegt sich fast immer im Bereich von wenigen Tagen bis wenigen Monaten.
Auf welche Evidenz beziehen Sie sich in Ihren Angaben?
Nachdem ich natürlich nicht annehme, dass es sich hierbei um reines Wunschdenken handelt, ersuche ich Sie um eine Quellenangabe, die Ihre Aussagen belegt,
mit freundlichen Grüßen
Bert Ehgartner

Seine Antwort folgt umgehend:

Herr Ehgartner,
...meine Feststellungen sind alles Zitate aus breit in den angesehensten Journalen der Medizin und Onkologie publizierten wissenschaftlichen Arbeiten - Ihr Artikel demnach wohl schlecht recherchiert oder von anderweitiger Absicht. Beides bedauerlich.
Ihr C. Zielinski

Tja, schlecht recherchiert, wo doch diese Angaben überall nachzulesen gewesen wären "in den angesehensten Journalen" der Medizin und Onkologie. Ich bin zerknirscht - erinnere mich aber dann an einen Mailwechsel mit Zielinski, den ich vor einigen Jahren geführt habe. Ist es da nicht um ein ähnliches Thema gegangen? – Ich suche die Mails: tatsächlich.
Also probiere ich es erneut:

Sehr geehrter Herr Prof. Zielinski,
eben jene "Zitate aus breit in den angesehensten Journalen der Medizin und Onkologie publizierten wissenschaftlichen Arbeiten" habe ich nicht gefunden.
Im Oktober 2004 habe ich mich in derselben Thematik schon einmal an Sie gewendet (mit Bezug auf Daten von Prof. Hölzel, dem Leiter des Tumorregisters in Bayern, der u.a. im Spiegel-Bericht "Giftkur ohne Nutzen" erklärt hatte, dass sich über die neuen Therapien bei Krebs ab Metastasierung kein oder nur ein marginaler Gewinn an Lebenszeit ergeben habe).
Damals schrieben Sie mir:
Zitat aus Ihrem Mail vom 6. Oktober 2004:
"Die von Ihnen erwähnten Daten stellen überdies ein besonders schelchtes Zeugnis für die Situation in Deutschland aus, denn die meisten internationalen Daten widersprechen besonders in der Therapie von fortgeschrittenem Brustkrebs diesen Behauptungen auf das schärfste: So ist die Überlebensdauer bei entsprechender Behandlung von fortrgeschrittenem Brustkrebs an Zentren in Den letzten Jahren um das 4- bis 5-fache (!!) gegenüber dem Vergleich zu Ende der 90er Jahre verlängert worden."
Sie nannten also für Brustkrebs dasselbe Argument wie jetzt. Als ich Sie um Belege bat, verwiesen Sie mich auf zweierlei:
Zum einen sollte ich mit Prof. Vutuc sprechen, der die entsprechenden Daten für Österreich publiziert habe.
Ich habe Prof. Vutuc darauf angesprochen und er war ratlos, wie Sie zu der Ansicht kommen, dass sich die Überlebenszeit bei metastasiertem Brustkrebs derart dramatisch verbessert hätte. Er könne das mit seinen Daten nicht belegen.
Zum zweiten nannten Sie mir eine Studie aus dem New England Journal of Medicine von Slamon DJ et al. aus dem Jahr 2001 ("Use of Chemotherapy plus a monoclonal Antibody against Her2 for Metastatic Breast Cancer that overexpresses HER2")
Auch diese Studie stützt Ihre Angaben nicht.
Zitat daraus:
"The median survival was 25.1 months in the group given chemotherapy plus trastuzumab and 20.3 months in the group that received chemotherapy alone (P=0.046)"
Also 4,8 Monate Lebenszeit-Verlängerung bei grenzwertigem Konfidenz-Intervall in einer vorselektierten Gruppe von Frauen (jene 25 - 30% der Patientinnen, die HER2 überexprimieren)
Arbeiten mit ähnlichen Ergebnissen gibt es auch zu den von Ihnen erwähnten Dickdarm-, Eierstock- und Nierenzell-Karzinomen.
Ich habe wirklich versucht Ihre Angaben aus der Literatur für mich nachvollziehbar zu machen.
Insofern ersuche ich Sie noch einmal, mir belastbare Quellen zu nennen und mich nicht so allgemein abzuspeisen,
mit freundlichen Grüßen, Bert Ehgartner

39 Minuten später ist Zielinskis Antwort da, auch wenn ich daraus nicht wirklich schlau werde:

Herr Ehgartner,
Wieso eigentlich nicht? Und warum sollte ich, nachdem Sie derart feindselig vorgehen? Also: Kommt Zeit - kommt Rat... Und sollten Sie irgendetwas von unserem Schriftwechsel publizieren (wovon ich ausgehe), vergessen Sie bitte nicht, Ihre Feindseligkeit (siehe Satz 2) zu erwähnen. Glauben Sie denn, dass ich den Ansatz und die Zusammenhänge nicht verstehe oder weiss? Vielleicht aber Sie nicht...?!? Jetzt aber alles Gute.
Ihr Z.

Ich entgegnete darauf folgendes:

Sehr geehrter Herr Prof. Zielinski,
ich verstehe nicht, was Sie mit "feindselig" meinen.
Ich habe in meinem Artikel auch nicht vor gehabt, Krebspatienten oder deren Ärzte vor den Kopf zu stoßen, sondern auf ein allgemeines (auch ethisches) Problem hinzuweisen, das in der Onkologie ständig präsent ist: Wie bewältigt man die schwierige Balance aus Lebensverlängerung/Lebensqualität und Kostendruck zum Wohle der Patienten? Keinesfalls sollte einem rein ökonomischen Denken das Wort geredet werden.
Mir ging es bei meinen Fragen an Sie ausschließlich darum, zu klären, woher die Diskrepanz zwischen Ihren und "meinen" Zahlen stammt.
Ich hoffe wirklich darauf, diesbezüglich etwas von Ihnen zu hören,
mfg, BE

Seine Antwort:

...und das Cover war kein "ecce homo" und der Titel "Therapie zum Tod" nur ein so dahingesagter Flaps...?!?! Herr Ehgartner, wie soll ich DAS ALLES nicht zur Kenntnis nehmen und mein menschliches Entsetzen unterdrücken, wenn das Schicksal meiner Patienten auf eine solche Weise verhöhnt wird?
Das ist alles ein Paradigma für eine Vorlesung "Ethik im Journalismus".
Herr Ehgartner - an jedem Wort, das wir in der Öffentlichkeit sagen, hängen Leben, Schicksale, Menschen, Hoffnungen...
Ihr Z. 

Meine Antwort:

Die Antwort kann aber auch nicht darin bestehen, Hoffnungen zu erwecken, die - zumindest sieht es für mich bislang so aus - keine reale Basis haben,
lg, BE

Seine Antwort:

Das glauben eben SIE, weil Sie es so wollen – sonst wäre Ihre Recherche nicht DERART tendenziös. LESEN SIE BITTE einmal Ihre Formulierungen und Ihre Unterstellungen in Ihrem text – pardon, aber es erlauben sich halt einige Leute Sensibilität und möchten es sich mit verlaub verbieten, sich von Ihnen derart zu prügeln und behandeln zu lassen. Wie kommt man eigentlich dazu….?!?!
Und jetzt hab ich nix mehr zu sagen…
Ihr Z. 

Einmal probiere ich es noch:

Und? bekomme ich jetzt noch Belege für die erstaunliche Lebensverlängerung, die Sie postuliert haben?
lg, BE

Die Schlussmail Zielinskis:

Ich habe GAR NICHTS postuliert – ich habe nur ZITIERT: Die Parole heißt also: „Lesen, lesen, lesen…“
Wir zwei können erst interagieren, wenn Sie sich Ihrer Verantwortung gegenüber den ärmsten der armen Individuen bewusst geworden sind statt irgendwelchen Sensationen, die es gar nicht gibt oder die zu solchen hochstilisiert werden, nachzujagen, und auf dem Weg ein paar unschuldige Leute, die guten Willens sind, fertig- oder niederzumachen. Sollte sich dies jemals ändern, stehe ich zur Verfügung, damit wir gemeinsam etwas im positiven Sinn bewegen.
Bis dahin alles Gute!
Ihr
Univ. Prof. Dr. Christoph Zielinski
Chairman, Department of Medicine I
Director, Clinical Division of Oncology
Medical University Vienna – General Hospital
Vienna, Austria

Tja, das Rätsel über die Herkunft von Zielinskis sensationellen Krebsdaten bleibt also vorerst ungelüftet.
Dafür bekam ich einen Gratis-Tipp fürs Leben: Der Weg zur Evidenz führt nicht über "Zitieren", sondern über "Lesen, lesen, lesen".
Fragt sich, was Zielinski hier meint: Das Bildungsideal der Fünfziger-Jahre? Seine Neigung zum Versteckspiel? Oder den Rat, so lange zu lesen, bis man etwas findet, das einem gefällt. Und das zitiert man dann jahrelang in der Öffentlichkeit.
Auf konkrete Nachfrage nach dem Ursprung der Weisheit nennt man dann - je nach Tagesform - falsche Quellen oder gar keine.
Mir stellt sich die Frage, wie oft Herr Zielinski mit seinen für mich nicht nachprüfbaren - weltweit einzigartig da stehenden - Erfolgszahlen schon Patienten in Therapien getrieben hat, die dann nicht das hielten, was er versprach.

Etwas erstaunt bin ich über seinen Vorwurf, dass ICH es sei, der "irgendwelchen Sensationen" nachjagt, "die es gar nicht gibt".
Aber möglicherweise hat er damit ja meine erfolglose Jagd nach seinen eigenen, streng geheim gehaltenen Quellen gemeint.