Dienstag, 22. Dezember 2009

Was kann Tamiflu wirklich? Kann es überhaupt etwas?

Eben kam ein so genanntes "blitz a-t" von der Redaktion des Arznei-Telegramm.
Darin wird unter dem Titel
ZWEIFEL AN DEN DATEN ZU OSELTAMIVIR (TAMIFLU)
noch einmal die Vorgangsweise von Roche thematisiert, ihren Milliardenseller zu pushen, und die Ergebnisse sind wirklich erstaunlich.

Es wurden Ghostwriter verwendet, Leute, die an den Arbeiten mitgeschrieben haben, hatten gar keinen Zugang zu den Daten, in Wahrheit wurden die Studien von Leuten aus spezialisierten Agenturen verfasst, die in Kontakt mit der Marketing-Abteilung von Roche operierten, etc.

Die angeschriebenen Autoren der beiden vollständig publizierten Studien wie auch der Abstracts und der KAISER-Analyse selbst geben an, sofern sie überhaupt antworten, die Rohdaten nicht zu haben und verweisen auf Roche. Der Erstautor des Abstracts der mit Abstand größten Studie erklärt sogar, überhaupt nicht in die Studie involviert gewesen zu sein. Beim Vergleich der Namen, die in den Publikationen genannt werden, mit denen auf Unterlagen für Behörden fallen ebenfalls Widersprüche auf. Zudem melden sich ehemalige Mitarbeiter einer Agentur für medizinische Kommunikation und geben an, als "Ghostwriter" unter anderem das Manuskript einer der beiden vollständig publizierten Oseltamivir-Studien geschrieben zu haben. Sie sollen direkten Kontakt mit der Marketingabteilung von Roche gehabt haben, von der sie eine Reihe von Schlüsselbotschaften erhielten, die im Text vorkommen mussten, beispielsweise zum großen Gesundheitsproblem Influenza und dass Oseltamivir die Antwort darauf sei.

Die Wirksamkeit von Tamiflu zu überprüfen fällt extrem schwer, weil viele notwendige Daten gar nie veröffentlicht wurden. Die Gesundheitsbehörden widersprechen sich in ihren Einschätzungen gegenseitig. So hat Roche in den USA beispielsweise Wirkungen ihres Mittels konkret verneint, die in Europa offensiv beworben wurden.

In der US-amerikanischen Produktinformation wird dagegen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht belegt ist, dass Oseltamivir bakterielle Komplikationen einer Influenza verhindert.

Was nun wirklich stimmt, ist ungewiss. Roche lässt eine öffentliche Prüfung - z.B. durch die Cochrane Collaboration - nicht zu.

Resümee des arznei-telegramm:

Die Datenlage zu Oseltamivir (TAMIFLU) erweist sich als Desaster. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sieht keine Belege für einen Schutz vor Grippekomplikationen durch Oseltamivir weder für Gesunde noch für chronisch Kranke. Wieder einmal bestätigt sich, dass auf Daten, die von Firmen zurückgehalten werden, kein Verlass ist. Wie bei den Impfstoffen gegen Schweinegrippe wird deutlich, dass an Bestellung und Einlagerung von Arzneimitteln, die der öffentlichen Gesundheit dienen sollen, besondere Maßstäbe an die Absicherung von Nutzen und Schaden anzulegen sind. Hersteller und Behörden stehen in der Pflicht, die Nutzenbelege offenzulegen und die Öffentlichkeit nicht mit Expertenmeinungen abzuspeisen.

Samstag, 12. Dezember 2009

Stiftung Kindergesundheit fürchtet um die Impfmoral

In einer Aussendung an Journalisten zeigt sich die "Stiftung Kindergesundheit" äußerst besorgt, dass die kontroverse Diskussion um Sinn und Nutzen der Schweinegrippe-Impfung den Kinderimpfungen insgesamt einen schweren Imageschaden zugefügt haben könnte.
Darin heißt es zur Einleitung:
„Impfgegner können sich zurzeit genüsslich zurücklehnen, denn die einander widersprechenden ‚Experten’ haben ihre Rolle übernommen!“ sagt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit nicht ohne Verbitterung. „Harmlose Lokalreaktionen nach einer Impfung gegen die neue Grippe wurden von den Medien leichtfertig zu schweren Nebenwirkungen hochgejubelt, bewährte Bestandteile von Impfstoffen zu gefährlichen Chemikalien befördert. Es ist zu befürchten, dass manche solchermaßen verunsicherte Eltern die haltlosen Befürchtungen auch auf die bewährten und sicheren Kinderimpfungen übertragen. Damit würden sie jedoch die Gesundheit ihres Kindes aufs Spiel setzen“, so der Münchner Kinder- und Jugendarzt, Stoffwechselspezialist der Universitäts-Kinderklinik München.
Die Stiftung Kindergesundheit gibt an, dass sie sich als unabhängige Organisation für die Interessen der Kindergesundheit einsetzt. Doch ist sie tatsächlich unabhängig?
Wenn sich eine "Stiftung Kindergesundheit" für ihre Aktivitäten von der Pharmaindustrie regelmäßig in großem Umfang finanziell unterstützen lässt (z.B. hier), dann auch noch mit Pharmapreisen auszeichnen lässt (z.B. hier), was macht dann eigentlich noch den Unterschied aus zwischen dieser "Stiftung" und einer Firma, die ganz einfach "Pharma PR" macht?

Der Vorsitzende dieser Stiftung, Berthold Koletzko ist zudem einer der am besten mit der Industrie verbandelten Mediziner Deutschlands. Seine "Conflict of Interest"-Erklärung liest sich recht eindrucksvoll:
Berthold Koletzko and his research group have been involved in scientific collaborations with Abbott, Ardeypharm, Baxter, B. Braun, Biovitrum, Bristol Myers Squibb Foundation, Cognis, Dairy Goat Cooperative, Danone, Fresenius-Kabi, Fronterra, JHeimbach LLC, Hipp, Martek, Merck Selbstmedikation, Nestlé, Orafti, Ordesa, Pharmaton, Unilever, Vifor, and Wyeth

Im folgenden werden in dieser Information an Journalisten eine Reihe von Einwänden gegenüber Impfungen aufgezählt und dann knallhart widerlegt.
In Punkt 1 des insgesamt 13 Punkte umfassenden Papiers heißt es unter anderem:
Tetanus-Erreger befinden sich im Erdboden auf der ganzen Welt und sind nicht zu bekämpfen. Nach wie vor erkranken Kinder in Deutschland an dieser lebensbedrohlichen Infektion. Eine Immunität gegen sie ist nur durch die Impfung zu erreichen.
Hier wird eine Gefahr hoch gespielt, die bei Kindern gar nicht in diesem Ausmaß existiert. Aber es ist eben eine sehr gut eingeführte, weit verbreitete Furcht, dass ohne Impfung viele Kinder an Tetanus erkranken würden. Und diese Furcht wird gehätschelt und gepflegt.
Wenn es möglich wäre, das mal tatsächlich zu prüfen, würden viele Impfbefürworter wahrscheinlich ihr blaues Wunder erleben.
In Wahrheit ist Tetanus nahezu ausschließlich für ältere Menschen gefährlich, wenn sie z.B. schlecht heilende Wunden haben. Bei gut versorgten und gereinigten Wunden von Kindern kommt Tetanus praktisch nicht vor. Beschriebene Fälle sind hier in der gesamten Medizinliteratur extrem selten. Mir ist hierzu eine Untersuchung aus den USA in Erinnerung, wo innerhalb von 20 Jahren 14 Fälle von Tetanus bei Kindern und Jugendlichen im Alter unter 18 Jahren beschrieben wurden. Alle 14 Kinder (einige davon auch geimpft) wurden rechtzeitig behandelt und haben überlebt. In Deutschland ist seit mehr als 20 Jahren kein Kind mehr an Tetanus gestorben - und das bei hunderttausenden Ungeimpften.
Ich warte zudem schon lange auf eine Arbeit, die zeigt, wie gut die Impfung bei älteren Menschen wirkt und ob sie auch tatsächlich in der Lage ist, Tetanus zu verhindern. Bei chronisch kranken älteren Personen besteht ja tatsächlich ein kleines aber doch vorhandenes Risiko. Und hier wird den Risikogruppen auch konkret zur Auffrischung der Tetanus-Impfung geraten.
Gefunden habe ich bislang keine Arbeit dazu. Lediglich Hinweise, dass besonders gefährdete Personen (z.B. Diabetiker) einen deutlich schlechteren Immunstatus aufbauen wie gesunde Gleichaltrige.

Weiter im Text:
Auch Diphtherie-Erreger sind noch vorhanden. Sie können von Urlaubsheimkehrern, Geschäftsreisenden oder Einwanderern tagtäglich eingeschleppt werden und sich ausbreiten.
Auch das ist eine "Urban Legend". In ganz Mitteleuropa ist bei einem Großteil der Erwachsenen kein Diphtherie-Schutz mehr vorhanden.
Und ist deshalb in dieser Altersgruppe jemals eine Epidemie ausgebrochen? Null. Nicht mal als zu Beginn der 90er Jahre in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine große Diphtherie-Epidemie wütete, ist irgendwas zu uns rüber geschwappt.
Diphtherie scheint eine Krankheit zu sein, die Krieg und Elend folgt.

 Weiters heißt es:
Fälle von Kinderlähmung (Polio) sind vor einiger Zeit im Urlaubsgebiet der Dominikanischen Republik, … registriert worden
Dieses Beispiel zeigt besonders gut, wie tendenziös hier informiert wird. Dass die damaligen Polio-Ausbrüche in der Dom-Rep und Haiti nämlich in Wahrheit von der Polio-Impfung ausgegangen sind – wie auch bei anderen Ausbrüchen zuvor und danach  z.B. in Nigeria, China, oder Madagaskar – wird glatt unterschlagen.
Bei dieser Lebendimpfung bestand immer die Gefahr, dass Geimpfte oder deren Umgebung selbst an Polio erkrankten, weil die Viren nicht gut genug abgeschwächt waren oder in eine virulente Form "zurückmutierten". Das war auch der Hauptgrund, warum die (gut wirksame) Lebendimpfung vor einigen Jahren durch die jetzige (weniger gut wirksame) Polio-Totimpfung ersetzt wurde.
Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Ich bin kein Gegner der Polioimpfung. Ich denke, dass sie große Verdienste hatte. Meine älteren Kinder drei Kinder bekamen alle noch die Polio-Lebendimpfung.
Was mich ärgert ist unredliche Information, wo mit falschen Behauptungen Propaganda gemacht wird.

Und schließlich wird noch mal der berühmte Diphtherie-Ausbruch im Osten bemüht:
…oder der explosionsartige Anstieg der Diphtherie in der ehemaligen Sowjetunion zeigen, dass eine Vernachlässigung von Schutzimpfungen ernsthafte Konsequenzen haben kann.
Hier wird unterschlagen, dass die Kinder in diesen Ländern nach mitteleuropäischen Maßstäben nicht weniger geimpft, sondern sogar überimpft waren.
In der Ukraine, einem der von der Epidemie am meisten betroffenen Länder, wurden Kinder sogar sechs Mal gegen Diphtherie geimpft. Unter den Diphtherie-kranken Kindern waren dort ca. 80% ordnungsgemäß geimpft. Die Wirksamkeit der Impfung wurde heftig bezweifelt.

Das war natürlich peinlich und so wurde der Ausbruch gründlich untersucht. Mit dem Ergebnis, dass z.B. die US-Behörde CDC verlautbarte, dass mit der Sowjetunion damals auch die Impfmoral zusammengebrochen sei. In der Bevölkerung habe sich eine enorme Impfskepsis verbreitet, zudem wurden neuartige russische Impfstoffe verwendet, die eine so niedrige dosierte Diphtherie-Komponente enthielten, dass die Impfung wohl deshalb nicht so gut wirkte.

Kurioserweise ist es ebenfalls die CDC, welche ihre eigenen Angaben widerlegt. Und zwar in einer Studie, die vor Ort in der Ukraine in Kooperation mit dem dortigen Gesundheitsministerium durchgeführt wurde.
Die Studienautoren testeten die vor Ausbruch der Epidemie verwendeten Impfstoffe. Sie gingen auch dem Verdacht nach, dass die sowjetische Impfstoffe für den Ausbruch verantwortlich sein könnten, die einen reduzierten Antigen-Gehalt hatten. Sie fanden jedoch, dass diese niedrigpotenten Impfstoffe nur von weniger als 5% verwendet wurden. Die anderen Impfstoffe erzielten hingegen exzellente Antikörper-Titer. Die Durchimpfungsrate war vergleichbar jener der USA.
Das kann also demnach keine Mitschuld haben, dass die Epidemie ausgerechnet in der Ukraine so gewütet hat.
Die Autoren tippen darauf, dass es am schlechten Immunitätsstatus der Erwachsenen lag.
The VE after three doses of any diphtheria
vaccine in children <15 years of age
was 98.2%, increasing to 99.7% and 99.9% with four and five
or more doses, respectively. These VE results are only slightly
lower than the 100% immunogenicity (defined as >0.01 IU)
after three doses in clinical trials [27]
While our sample size was inadequate to evaluate the VE of
the reduced-potency AKDS-m alone, it was reassuring that
only 5% of the cases and controls had received this vaccine,
suggesting that this was not a major contribution to lower
immunity in Ukraine. The vaccine coverage by age group
among the controls in our VE case-control study also provided
the first independent assessment of up-to-date vaccination
status of Ukrainian children. Before the outbreak, coverage
with three or more doses of diphtheria vaccine exceeded 80%
by 2 years of age and 85% by 3 years of age for almost all age
cohorts, compared with 83% by 2 years of age in 1992 in the
United States [32]. These results suggest that while efforts to
improve the 68% coverage with receipt of three doses by 1 year
of age are definitely worthwhile, low childhood vaccine coverage per se was unlikely to be a major cause of the outbreak.
Our findings also provided for the first time strong scientific evidence against alternative causes (e.g., toxin mutation and radiation exposure from Chernobyl), which were prevalent considerations early in the confusion of the outbreak [33]: This finding allowed for resources to be directed toward the main culprit—inadequate adult immunity [34].
Schließlich wundern sich die Autoren noch, warum die Diphtherie hier im Osten so wütete, während in anderen Ländern mit ähnlich miesem Immunstatus bei den Erwachsenen - trotz einiger eingeschleppter Diphtherie-Fälle von Reisenden - keine Epidemie folgte.
Sie tippen darauf, dass es mit dem kurz zurückliegenden Afghanistan Krieg zu tun haben könnte. In den Kasernen der heimkehrenden Soldaten waren auch die ersten Krankheitsfälle beobachtet worden:
 While the causes of this outbreak are likely to be multifactorial
[13, 34, 35], it is interesting that other countries
with long-standing routine childhood immunization programs
against diphtheria and poor compliance with adult booster
policies (and therefore poor adult immunity levels) have not
had similar resurgences despite periodic introductions of diphtheria [4, 34]. During World War II, large diphtheria outbreaks occurred in several countries on both sides upon return of large numbers of soldiers from tropical settings (e.g., North Africa and the South Pacific); the cutaneous diphtheria they had contracted transformed to respiratory diphtheria upon return to the more temperate climates [36, 37]. Diphtheria incidence increased sharply in Afghanistan after invasion by the former Soviet Union in 1979. Soviet troops were withdrawn in 1989, and the NIS outbreak was first detected among the military in various locations around this time [13]. Perhaps molecular epidemiology may one day provide insight on whether this was more than a coincidence [38].
-----------------------------

So, jetzt reichts, ich höre bei Punkt 1 des Pamphlets der "unabhängigen" Stiftung Kindergesundheit gleich wieder auf. Sonst wird das hier ein Monsterposting.
Dass diese Art Impfpropaganda den Karren des "Impfgedankens", der während der Schweinegrippe-Impfung scheinbar in den Dreck gefahren wurde, wieder herausziehen kann, bezweifle ich aber stark.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Luc Montagnier über seine Sicht der AIDS-Problematik

Mir war es ja immer sympathisch, dass Luc Montagnier den Nobelpreis bekommen hat und sein US-Konkurrent und Pseudo-HIV-Entdecker Robert Gallo leer ausgegangen ist.

Vor allem weil Montagnier seit langem die Meinung vertritt, dass das Virus nicht das alleinige Problem bei AIDS ist und es eine Menge Co-Faktoren zu berücksichtigen gilt, wenn man diesem Phänomen tatsächlich wirksam begegnen will.
Speziell von US-Amerikanischer Seite (Gallo, Fauci & Co.) wird allerdings seit langem der Fokus allein auf die antivirale Therapie sowie auf eine "AIDS-Impfung" gelegt. Mit diesem Ansatz wurden die letzten 25 Jahre Abermilliarden an Forschungsgeldern verbraucht, zur Besserung der Situation - vor allem im am schwersten betroffenen Afrika - hat das aber bisher nicht wirklich beigetragen.

Montagnier hat für den aktuellen Film House of Numbers (den ich noch nicht gesehen habe) ein sehr interessantes Interview gegeben. Auf YouTube gibt es diesen Ausschnitt vorab.

Dienstag, 24. November 2009

Schweinegrippe rettet Menschenleben (2)

In der FAZ ist heute ein interessanter Artikel mit dem Titel "Kann die Schweinegrippe sogar nutzen?" erschienen.

Darin werden neben den von mir bereits angeführten Gründen weitere Argumente genannt, warum es gesund und sogar lebensrettend sein kann, die derzeit sehr leichte Form der Schweinegrippe durchzumachen.

Der Artikel bezieht sich auf eine niederländische Arbeit, die in einem der Lancet Fachjournale publiziert wurde.

Die Wissenschaftler haben dafür im normalerweise gut als Modell für den Menschen dienenden Versuch an speziellen Mäusen die Tiere verschiedenen Impfungen und nachfolgenden Infektionen in mehreren Kombinationen aus gesetzt:
  • Wurden die Mäuse mit dem saisonalen Impfstoff (H3N2) geimpft und danach mit Vogelgrippe-Viren (H5N1) konfrontiert, so starben sie.
  • Wurden die Mäuse nicht geimpft und dann mit den Vogelgrippe Viren konfrontiert, so starben sie ebenfalls.
  • Wurden die Mäuse mit saisonalem Impfstoff (H3N2) geimpft, danach mit saisonalen Viren (H3N2) infiziert, so überstanden sie im Normalfall die saisonale Grippe, starben aber ebenfalls wieder, wenn sie mit H5N1 infiziert wurden.

Was erwies sich nun zur großen Überraschung der Wissenschaftler als einzige Möglichkeit der Mäuse, dieses Experiment zu überleben?

Folgendes:
Die Mäuse wurden NICHT geimpft, danach aber mit saisonalen H3N2 Viren infiziert. Sie machten eine Grippe durch. Danach waren sie auch gegen die ansonsten stets tödlichen H5N1 Viren gewappnet. Sie hatten weniger Viren in der Lunge, erkrankten weniger ernsthaft und starben seltener.

Dieser Effekt wäre auch eine mögliche Erklärung dafür, warum in den USA die Sterblichkeit an H1N1 gerade bei Kindern vergleichsweise hoch ist.
Als Ursache werden die in den USA wesentlich häufigeren und bereits für Babys ab 6 Monaten empfohlenen Grippeimpfungen genannt.
Wer seine Kinder gegen Grippe impft geht damit das Risiko ein, dass diese nur eine "Scheinimmunität" gegen die in der Impfung enthaltenen Antigene erhalten, sich jedoch keine breitere Immunität gegen nachfolgende andersartige Grippeviren ausbildet.

Zitat:
Gerade kleine Kinder seien, so argumentieren die Forscher, immunologisch naiv, oft noch überhaupt nicht mit saisonalen Grippeviren in Kontakt gekommen. Eine sehr frühe Impfung könne den Aufbau eines breiten Abwehrschildes blockieren.
Wenn es sich gar um ein neuartiges Virus handelt, so wie das jetzige Schweinegrippe-Virus oder ein gefährlicheres, so hätten sie demnach ein deutlich erhöhtes Sterberisiko als ungeimpfte Kinder, die bereits einmal eine Grippe durchgemacht haben.

foto: revoluzza (creative commons)

Freitag, 20. November 2009

Schweinegrippe: Pandemie der Angstmache

Gestern lief ein sehr interessanter Beitrag im ARD-Magazin "Monitor", der unter anderem auch meine zuletzt hier geäußerte - zugegeben etwas schräg klingende These stützt.

Die Schweinegrippe verläuft insgesamt wesentlich milder als die normale saisonale Grippe. Erfahrungen aus dem zurück liegenden australischen Winter zeigen, dass die Pandemieviren die saisonalen Viren nahezu vollständig verdrängt haben. Mit dem Effekt, dass in diesem Winter etwa zehnmal weniger Menschen an der Influenza starben, wie in den sonstigen Jahren.
Prof. Peter Collignon, Direktor "School of Medicine", Universität Canberra (Übersetzung MONITOR):
"In diesem Winter hatten wir insgesamt weit weniger Grippetote als in den Vorjahren. Normalerweise haben wir hier in Australien geschätzt 2.000 bis 3.000 Todesfälle wegen der Grippe. Dieses Jahr waren es nur etwa 190. Die Auswirkungen dieser neuen Grippe - zumindest was die Toten angeht - blieben deutlich hinter dem zurück, was wir hier normalerweise erleben."

Die Schweinegrippe rettet also tatsächlich Menschenleben.
In den Medien grassiert hingegen die wirkliche Pandemie: Die Pandemie der Angstmache.
Hier der hervorragende Monitor-Beitrag:




Apropos: Erinnert sich noch jemand an die "Hunderten Todesfälle" in Mexico, mit denen der Spuk im heurigen Frühjahr begann?
In einer jetzt im Journal "The Lancet" veröffentlichten Arbeit der mexikanischen Gesundheitsbehörden liest sich die Bilanz der Schweinegrippe schon wesentlich weniger schlimm:
By July 31, 63 479 cases of influenza-like illness were reported; 6945 (11%) cases of H1N1 were confirmed, 6407 (92%) were outpatients, 475 (7%) were admitted and survived, and 63 (<1%) died.
63 Todesfälle bei einer Bevölkerung von 111 Mio. Menschen!

Donnerstag, 19. November 2009

Schweinegrippe rettet Menschenleben

Auch Viren haben untereinander eine gewisse Konkurrenz. Dass sich die neue H1N1 Grippe in Norwegen im internationalen Vergleich relativ spät ausbreitete führten Wissenschaftler auf das starke Auftreten von Rhinoviren zurück. Gegenüber dem Vorjahr wurden im Herbst 2009 etwa fünf Mal so viele Labor-bestätigte Infektionen festgestellt.

Wenn dem so ist, kann man nur hoffen, dass das auch für H1N1 gilt und die Schweinegrippe-Viren möglichst den ganzen Winter über präsent bleiben.
Trifft doch die saisonale Grippe vor allem die älteren Menschen, die auch ein höheres Sterberisiko haben. Diese älteren sind aber gegen die Schweinegrippe weitestgehend immun. In Österreich liegt z.B. der Anteil der über 60-jährigen unter den Erkrankten bislang bei gerade mal 1 bis 2 Prozent. Auch international liegen die Werte meist deutlich unter 10 Prozent.

Bei jüngere Menschen verläuft die H1N1 Grippe - wie sich zeigt - zum überwiegenden Teil harmlos. So harmlos, dass beispielsweise in Großbritannien, dem am stärksten betroffenen Land in Europa, beim zurück liegenden ersten großen Gipfel der H1N1 Welle keinerlei Einfluss auf die Sterblichkeit in der Bevölkerung ersichtlich war.


Sterbezahlen in Großbritannien laut "Office for National Statistics"

Im Gegenteil, sie lag sogar etwas niedriger als in den Vergleichsjahren. (siehe rote Linie links und blaue Linie rechts)

Größtenteils harmlos bei den Jungen, die Älteren sind weitgehend immun. Was könnte uns also besseres passieren als dass die neue Grippe die normale saisonale Grippe über den Winter dauerhaft verdrängt?

Dann hätten wir Abertausende von Todesfällen bei Menschen, die angeblich jedes Jahr an der normalen Grippe sterben, weniger.

Hatte der bekannte Wiener Infektionsexperte Wolfgang Graninger also doch wieder recht, als er die Schweinegrippe als eine "Wohltat für die Menschen" bezeichnete.

Sehnsucht nach der Pandemie

Rinderwahn, SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe: So lauteten einige der Schreckgespenster, die uns in den letzten Jahren heimsuchten. Wenn wir keine Probleme haben, so scheint es, dann machen wir uns eben welche. Die Bilder in den TV-Nachrichten zeigen Schreckensbilder von Rindern oder Hühnern, die vorsichtshalber verbrannt werden. Einsatzkräfte mit Ganzkörper-Schutzanzügen verrichten ihr abartiges Handwerk. Auf den Flughäfen, in den U-Bahnen und sogar in Schulklassen sehen wir Menschen mit Mundmasken. Die Bedrohung ist unsichtbar und gerade deshalb allgegenwärtig.
Und irgendwann ist dann plötzlich Schluss. Die fetten Schlagzeilen werden schlanker und verschwinden von den Titelseiten. So als hätte irgendwo im Hintergrund jemand – verborgen vor der Öffentlichkeit – die Zielflagge geschwenkt: Genug jetzt, es ist vorbei. Eben so schnell, wie der Spuk aufgezogen ist, verschwindet er wieder.
Am Höhepunkt der Vogelgrippe-Hysterie,  im Herbst 2005, hatte noch  jeder altersschwache Schwan die Chance, zur Spitzenmeldung der Tagesschau zu werden. Zwei Jahre später wurden auf bayrischen Mastbetrieben fast 450.000 Enten getötet, weil einige von ihnen mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 infiziert waren. Die Berichte darüber schafften es nicht mal mehr in die überregionalen Nachrichten. Und heute denkt man an einen Druckfehler, wenn noch irgendwo von H5N1 die Rede ist. Denn jetzt ist Schweinegrippe-Saison: H1N1!
Fast scheint es, als hätte die Menschheit eine tiefe Sehnsucht nach Seuchen gepackt. Eine Sehnsucht nach der Pandemie, nach einer tödlichen Gefahr, die aus dem Nichts auftaucht und uns allen kollektiv an den Kragen will. Uns gleich macht in unserer Hilflosigkeit und unserem Schutzbedürfnis.
Und als ob es eine Inszenierung wäre, treten sofort auch die Retter auf den Plan. Experten stellen sich souverän den Kameras und wissen, was zu tun wäre: Millionen Todesfälle, das Ende des Tourismus und des freien Warenverkehrs, der endgültige Einbruch der Weltwirtschaft, das alles wäre zu vermeiden. Aber nur, wenn jetzt sofort in die Vorsorge investiert würde. Das dürften aber keine Kinkerlitzchen sein, mahnen die Experten. Da bräuchte es schon eine gemeinsame weltweite Kraftanstrengung der besten Geister. So etwas kostet. – Misstrauen ist nicht angebracht, denn die Experten genießen den besten Ruf. Zudem sind sie offensichtlich unabhängig, gehören der Welt-Gesundheits-Organisation, angesehenen Universitäten oder staatlichen Behörden an. Ihr Wort wiegt schwer.
Als nächstes treten jetzt die Volksvertreter auf. Eingeschüchtert von diesem apokalyptischen Szenario greift ein Politiker nach dem anderen mit vollen Händen in die Steuertöpfe und investiert in die Pandemie-Polizze. Barack Obama, Nicolas Sarkozy, Angela Merkel: Gleichsam im Dominotakt folgt im Sommer 2009 ein Industrieland dem nächsten. Sie stellen Milliarden bereit für den Ankauf von Medikamenten und die Neuentwicklung von Impfstoffen. Jeder einzelne Staatsbürger soll geschützt werden vor der heimtückischen Gefahr. Nicht zuletzt nützt dieses Investment auch ihrer eigenen Wiederwahl. Denn was würde wohl die Opposition trompeten, wenn ausgerechnet das Land, in dem sie die Verantwortung tragen, ausschert aus dem Gleichklang der internationalen Selbstverteidigung: unverantwortlich wäre das!
Von Kritikern hört man vereinzelt den Vorwurf, die Medien würden hier ohne wissenschaftliche Basis eine Hysterie schüren und mit den Ängsten der Menschen Geschäfte machen. Ich denke jedoch nicht, dass dieser Vorwurf berechtigt ist. Pressevertreter gehen nun mal auf Pressekonferenzen. Und sie berichten, was dort gesagt wird. Das ist ihr Job. Im Gegenteil – wenn ab und zu Kritik aufkam an dieser allumfassenden Mobilmachung, dann kam diese von den Medien. Dann waren es Journalisten, die ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, warum bei einer derart minimalen Bedrohung, derart martialische Maßnahmen gesetzt werden müssen: Eine ganze Bevölkerung durchzuimpfen, wie es manche Gesundheitspolitiker ankündigten, wurde als „unkontrollierter Menschenversuch“ bezeichnet. Und das Vorhaben, allein in Deutschland rund eine Milliarde Euro an Steuergeldern zu investieren für eine Infektion, die mildes Fieber und ein wenig Halsschmerzen verursacht, als hoffnungslos überzogen.
Derartige Vorstöße blieben aber selten. Denn die Medien sind ein Spiegel eines kollektiven Bewusstseins. Und dieses erwies sich als ungemein empfänglich für die Kampagne. Dazu trug sicher auch die unappetitliche Assoziation bei, dass hier ein Virus vom Schwein auf den Menschen gehüpft ist. Einst aus dem ekligen Rüssel der Sau entkommen, mutiert und milliardenfach vervielfacht, verbreiten sich diese Keime in allen möglichen Menschen und springen vielleicht auch auf die eigene Familie über: in die Nase meines Babys. Diese Vorstellung schockt und verängstigt. Und auf diesen Ängsten, auf diesem unguten Gefühl, lässt sich eine Marketing-Kampagne schon aufbauen.
Zumal ja auch genug investiert wurde. Schon vor fünf Jahren, als die Viren noch von den Vögeln kamen und H5N1 hießen, waren neue Technologien entwickelt worden für den Ernstfall. Erstmals wurden die Viren nicht mehr nur auf den Embryos von befruchteten Hühnereiern vermehrt, sondern es wurden richtiggehende Impfstoff-Fabriken geschaffen. Anstelle der unsicheren und komplizierten Eier-Technologie konnten die Viren nun auf robusten Zellkulturen wachsen. Auf theoretisch unsterblichen Zelllinien von Affennieren, die immer weiter wuchern, solange sie mit Nährlösung versorgt werden und in Fermentern bei der idealen Temperatur gehalten werden. Hier wurden von den Konzernen große Summen investiert. H5N1-Impfstoffe gingen in die klinischen Tests. Tausende von Studien-Teilnehmer wurden angeworben und mussten auch entlohnt werden für ihren Mut, sich unbekannte Arzneimittel injizieren zu lassen. Sollte diese Investition vergebens gewesen sein, jetzt wo kein Hahn mehr nach der Vogelgrippe kräht?
Tausende von Experten sind Teil eines mit Milliardenaufwand geschaffenen, weltweiten Influenza-Netzwerkes. Sie werden dafür bezahlt, die Augen offen zu halten und bei allen erkrankten Menschen nach den Verursachern zu fahnden. Im Auftrag der WHO, im Auftrag der Nationalen Zentren zur Infektionskontrolle. Diese Experten wollen ihre Arbeit erfüllen. Und sie wollen zeigen, dass das investierte Geld, gut investiert ist. Sie finden die Viren, sie analysieren sie mit immer moderneren Methoden. Und sie können nun sagen, dass bestimmte Gen-Sequenzen im Erbgut der Viren sie an jene von Vögeln oder von Schweinen erinnern. Mit jeder Schlagzeile sichern sie die eigenen Budgets – und damit ihre Jobs. Und so halten sie die Medienkampagnen in Gang und verleihen den Angstparolen mit ihren grauen Schläfen, der hohen Stirn und dem weißen Arztkittel den nötigen Anstrich von Seriosität. Und sie posaunen es auch nicht allzu laut hinaus, dass sie nebenher recht schön mitverdienen über ihre Beraterverträge mit der Industrie und die neuen, von der Politik erpressten Forschungsgelder.


Die neuen Brahmanen
Im alten Indien – an der Wiege der meschlichen Zivilisation – liefen die Brahmanen in ihrer Funktion als Priester, Heiler und Propheten, immer wieder Gefahr, dass die herrschende Kaste der Krieger den Respekt verliert. Dass sie selbst als Schmarotzer entlarvt werden, als unnütze Anhängsel, deren Rituale leer sind und deren Vorhersagen wertlos. Sie mussten teuflisch aufpassen, ihren hohen Status in der Gesellschaft und ihre Privilegien nicht zu verlieren und von verärgerten oder gelangweilten Fürsten davon gejagt zu werden. Deshalb war es die oberste Kunst der Brahmanen, ihr Geheimwissen so auszuspielen, dass die Mächtigen in beständiger Furcht gehalten wurden, und sich nie ganz sicher sein konnten, ob sie nicht schon morgen den Beistand der Priester gegenüber einer entfesselten rasenden Gottheit dringend benötigen würden.
Um diesen Nimbus abzusichern, entwickelten die Brahmanen ein ganzes Arsenal an hilfreichen Techniken. Sie erfanden eine Schrift, schufen Verse, Zaubersprüche und die ältesten Lehrbücher der Menschheitsgeschichte. Geheime Kenntnisse, die nur innerhalb der eigenen Kaste gelehrt und weiter gegeben werden durften. Um die Altare exakt nach den Himmelsrichtungen auszurichten, erlernten sie die Astronomie. Sie entwickelten ausgefeilte Opfer-Rituale, die so kompliziert und so eindrucksvoll waren, dass sie jahrelang geübt werden mussten. Beim großen Pferdeopfer beispielsweise – mussten mehrere Tiere gleichzeitig getötet werden. Sie mussten in derselben Sekunde sterben – andernfalls galt das Opfer als misslungen – mit schrecklichen Konsequenzen für den Herrscher. In einer über Tage laufenden Zeremonie wurden die Tiere zum Höhepunkt gemeinsam geopfert. Wenn alles erfolgreich nach Plan lief, warf der oberste Priester das Herz des besten Pferdes ins Feuer, so dass seine „göttlichen Dämpfe“ vom König und dessen Frauen eingeatmet werden konnten. Dadurch waren sie dann immun gegen jegliche Gefahren, die Götter versöhnt.
Gerade bei der Schweinegrippe drängt sich nun der Verdacht auf, dass diese Urzeiten der Medizin noch nicht gänzlich überwunden sind. Eine mythisch überhöhte Gefahr – die Jahrhundert-Pandemie des Nachkriegswinters 1918/19 – wird seit Jahren regelmäßig heraufbeschworen, um ein jederzeit wieder mögliches Horrorszenario mit Abermillionen von Todesopfern an die Wand zu malen. Ein angesichts der realen Bedrohung durch die läppische Gripperl-Welle geradezu absurd überzogener Vergleich. Die theatralische Ausrufung der Pandemie durch die WHO im Juni 2009 gleicht demnach einem modernen „Pferdeopfer“. Und es verfehlt noch immer nicht seine einschüchternde Wirkung auf die Kaste der Krieger und Fürsten, die sich heute Politiker und Volksvertreter nennen. Zum einen sichert das die Budgets der modernen Brahmanen, zum anderen den Absatz der bereits im Testlauf erprobten Impfstoffe, die nun nur noch rasch von der H5N1-Basis auf H1N1 umgebaut werden mussten.
Um die Aktion nicht zu gefährden, änderte die WHO sogar noch die Definition für eine Pandemie. Sie wurde von der WHO bis Anfang Mai noch als weltweite Infektion bezeichnet, die „eine enorme Zahl von Todesfällen und Krankheiten“ verursacht. Dieser Passus verschwand spurlos und übrig blieb die schnelle Ausbreitung über ein großes Gebiet. Dabei fällt es selbst den Experten schwer, zu erklären, warum wir nach dieser geografischen Definition nicht jedes Jahr die Pandemie ausrufen. Wo doch in jedem Jahr eine mehr oder weniger starke saisonale Influenza-Welle abläuft.
Ebenso schwer fällt die Erklärung, warum wir die Pandemie eigentlich auf die Influenza beschränken. Sind doch die Grippeviren nur ein kleiner Teil der mehrere hundert Unterarten umfassenden Viren, die über den Atmungstrakt übertragen werden und recht ähnliche Symptome auslösen. Untersuchungen zeigen, dass sie nur für sieben Prozent dieser Erkrankungen verantwortlich sind. Sie sind auch bei weitem nicht die gefährlichsten Erkältungsviren. Die so genannten RS Viren verursachen – speziell bei den Kindern – etwa wesentlich ernsthaftere Symptome. Rhinoviren und Coronaviren, die den Großteil der Infektionen ausmachen, können sich bei den älteren Menschen ebenfalls zu lebensgefährlichen Lungenentzündungen „auswachsen“. Objektiv gesehen besteht also der einzige Unterschied darin, dass es für Influenza spezielle Medikamente (z.B. Tamiflu), Impfstoffe und ein eigenes weltumspannendes Experten-Netzwerk gibt. Bei Rhino-, Corona- und RS-Viren hingegen nicht.
Ich schreibe dieses Vorwort im September 2009. Ich weiß noch nicht, wie dieses Spektakel endet. Die Gefahr, dass die – über Abermilliarden von Steuergeld finanzierte – Pandemie-Vorsorge mehr gesundheitlichen Schaden anrichtet, als die Schweinegrippe jemals vermocht hätte, ist jedoch groß. Wir wissen seit langem, dass die antiviralen Medikamente, die meist beim ersten Kratzen im Hals verordnet werden, schwere Nebenwirkungen haben. Speziell bei den Kindern. Wir haben zudem nichts aus dem Schweinegrippe-Debakel der USA von 1976 gelernt, wo Millionen von Amerikanern mit im Eilverfahren entwickelten Impfstoffen geschützt werden sollten. Am Ende dieses hysterischen Feldzuges standen Tausende von Impfopfern, viel davon tot oder mit bleibenden Schäden. Das einzige was damals ausblieb – ja sogar spurlos vom Erdboden verschwand – war die gefürchtete Epidemie. Diesen Effekt dem gewaltigen Rasseln der Influenza-Brahmanen zuzuschreiben, traute sich dann aber doch niemand mehr.

Die Erblast aus der Seuchenzeit
Viele dieser Haltungen im Umgang mit Infektionskrankheiten sind nur aus der kollektiven, Generationen überdauernden Erinnerung an die traumatischen Zeiten der Cholera und der Tuberkulose zu erklären. Speziell die Amerikaner, die weltweit den Takt in der Medizin vorgeben, sind noch tief in dieser historischen Erblast verfangen. Und heute werden von hier aus die Strategien gegen die neuen Weltseuchen organisiert: Das West-Nile Virus, ein Virus, das in anderen Ländern kaum beachtet wurde, war inneramerikanisch mehrere Jahre lang ein Dauerthema. Hier gelang es noch nicht, die eigene Paranoia weltweit zu exportieren. Bei SARS, Vogelgrippe und nun bei der Schweinegrippe lief hingegen bereits alles nach den Regeln der USA.
Es ist in der Tat verblüffend, wie gut der Angstknüppel noch immer wirkt. Wie leicht eine Gesellschaft durch die Androhung von Krankheit einzuschüchtern ist. Es genügt, ein paar spektakuläre Einzelfälle in den Medien groß aufzublasen und wir denken sofort, die Gefahr lauere um die nächste Ecke. Auch wenn es in Wahrheit wesentlich wahrscheinlicher ist, von einem Blitz oder einem Dachziegel erschlagen zu werden, als ernsthaft zu erkranken. Allzu viele in unserer Gesellschaft haben das Selbstvertrauen eingebüßt, mit einer Krankheit – und sei sie auch noch so banal – selbst fertig zu werden. Für die Krankheiten der Kinder gilt das noch viel mehr.
Kein Wunder, sind wir doch einer täglichen unsäglichen Massenpropaganda ausgesetzt, die uns einredet, dass alle Hilfe von außen kommt. Dass wir nur dann geschützt sind, wenn wir vorsorgen. Dass wir nichts dem Zufall überlassen sollen. Und so wird vorgesorgt: Mit den Jahr für Jahr immer zahlreicher werdenden Impfungen gegen alles und jedes. Mit Antibiotika, Cortison und fiebersenkenden Medikamenten, sobald die Stirn heiß wird.
Und das obwohl wir längst wissen, dass die Verhinderung von Krankheiten selbst ein Krankheitsrisiko darstellt. Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren häufig Antibiotika oder fiebersenkende Medikamente verschrieben bekommen, haben ein deutlich höheres Allergierisiko. Die vielen Impfungen – von ihrem Grundkonzept her eigentlich gut gemeinte Manipulationen des Immunsystems – tragen das ihre dazu bei, ein kindliches Immunsystem in seiner Reifephase zu stören. Dazu fällt – mit dem Wegfall der meisten Kinderkrankheiten und einer immer hygienischer werdenden Umwelt – das Trainingscamp aus, das die Natur bisher für Kinder in ihren ersten Lebensjahren eingerichtet hatte. Ein Trainingscamp, das dem Immunsystem in diesen frühen Jahren das Rüstzeug mitgab, ein ganzes langes Leben lang seine vielfältigen Funktionen der Infektionsabwehr oder der Krebsbekämpfung zu erfüllen.
In den Industrieländern leidet heute bereits mehr als ein Drittel der Bevölkerung an irgendeiner Form von Allergie. Das sei gar nichts im Vergleich zu einer Lungenentzündung oder einer Diphtherie, sagen die Statistiker der Massentherapie. Jede vermiedene schwere Krankheit, sagen sie, sei ein Erfolg. Und wo die Medizin die Möglichkeit hätte, müsse jede Chance ergriffen werden, die Menschen prophylaktisch zu schützen oder am besten die Krankheitserreger gänzlich auszurotten. Als Traum von der möglichst keimfreien, hygienisch reinen Umgebung und einem über medizinisches Geschick hochgerüsteten Immunabwehr.
Doch immer mehr Menschen zweifeln insgeheim an der Wahrheit dieser Thesen. Immer mehr Menschen merken schon jetzt die Schwächung und Irritation ihres Immunsystems und haben dadurch gewaltige Einbußen in ihrer persönlichen Lebensqualität: mit bedrohlichen Asthma-Attacken, verunstaltenden Neurodermitis-Schüben oder chronischen entzündlichen Krankheiten, welche eine dauernde Einnahme cortisonhaltiger Medikamente erfordern.
Immer mehr Menschen sind nicht mehr in der Lage, im Krankheitsfall richtiges Fieber mit Temperaturen über 38 Grad zu entwickeln. Fieber, das die Keime schwächt und gleichzeitig dafür sorgt, dass ein starkes reaktionsfähiges Immunsystem nun die idealen „Arbeitbedingungen“ vorfindet. Stattdessen fühlen sie sich wochenlang schlapp und angeschlagen, kämpfen sich zum Arbeitsplatz und wissen, dass sie eigentlich zu Hause bleiben sollten – wenn sie bloß richtig krank sein könnten.
In fast jeder Schulklasse gibt es heute ein Kind, das an Hyperaktivität leidet, Kinder mit unerklärlichen Aufmerksamkeitsstörungen oder Lerndefiziten. Wir sehen immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene, die täglich Medikamente nehmen müssen, um ihr überschießendes Immunsystem zu dämpfen, Menschen die an unerklärlichen Darmentzündungen leiden oder kein Insulin bilden können, weil ihr eigener Körper die hormonbildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse attackiert und irreversibel geschädigt hat.
Wir wissen heute, dass viele diese Schädigungen hausgemacht sind. Dass die hoch gepriesene Prävention und der damit einhergehende vorsorgliche Eingriff ins Immunsystem bei vielen Menschen nach hinten losgeht und chronische, nicht mehr heilbare, sondern bestenfalls kontrollierbare Krankheiten die Folge sind. Unser Problem sind nicht die banalen Infekte, vor denen uns die Pandemiker schützen wollen. Gerade in einer Epoche des materiellen Wohlstandes, wie sie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte möglich war, halten wir heute bei einem Anteil von unheilbar Kranken, der sich kaum von jenem in der Seuchenzeit unterscheidet. Bloß dass sich die Namen geändert haben. Asthma ersetzte die Schwindsucht, Rheuma die Rachitis und Multiple Sklerose die Syphilis. Wir stecken inmitten einer tatsächlichen Pandemie von schwersten Störungen des Immunsystems.
Doch wer sollte diese Fehlentwicklung korrigieren, wer sollte sie überhaupt aufklären und öffentlich machen? Wenn doch die Mediziner als allein befugten Kontrolleure des Systems selbst den Löwenanteil zu der Katastrophe beigetragen haben, in der wir uns heute befinden. Wer nimmt den modernen Brahmanen den Zauberstab aus der Hand?

Ein neues Selbstbewusstsein
Es wird uns nichts übrig bleiben als das selbst zu versuchen. Für unseren persönlichen Lebensbereich, für das Wohl unserer Kinder und unser eigenes. Was es dafür in erster Linie braucht, ist ein neues Selbstbewusstsein, das aus dem Wissen um den biologischen Zweck entstehen kann, den Krankheiten für unser Wohlergehen haben.
Und dieses Buch kann dazu eine, wie ich hoffe, wertvolle Hilfestellung geben und einen Gegenentwurf ermöglichen zu dem Bild von Krankheit, wie es uns heute vermittelt wird. Ich habe dazu mit zahlreichen hervorragenden Wissenschaftlern gesprochen. Ich habe hoch interessante Literatur zur Entwicklung und den Funktionen unseres Immunsystems studiert, die mir selbst auch eine völlig neue Sicht auf diesen erstaunlichen Lebensbegleiter und Schutzengel offenbarte.  Und schlussendlich habe ich – als Vater von fünf Kindern – auch viele persönliche Erfahrungen bei der Begleitung von Krankheiten einfließen lassen.
Erst das Wissen um den biologischen Zweck von Krankheit, verschafft uns die Möglichkeit, uns aus dem Kreislauf aus Angstmache und Versicherungsdenken, der uns permanent in Abhängigkeit halten will, zu befreien. Und es ist erstaunlich, wir rasch daraus ein völlig neues Selbstbewusstsein entsteht.
Wer ab und zu krank ist, bleibt auf lange Sicht gesund. Wir sollten diese kleinen Auszeiten willkommen heißen, so wie alle anderen Bestandteile eines gesunden Lebens: Gutes Essen, Bewegung, Humor und Liebe.
Und darum geht es in diesem Buch: Um das Selbstbewusstsein, Krankheiten zuzulassen. Im Vertrauen auf ein gesundes, kompetentes Immunsystem, das uns begleitet und beschützt und auf das wir stolz sein können. Ein ganzes Leben lang.

(dieser Text ist das aktualisierte Vorwort für das Taschenbuch von "Lob der Krankheit", das im Januar erscheint und jetzt schon vorbestellbar ist)

Donnerstag, 5. November 2009

"Talk im Hangar 7" zur Schweinegrippe


Ich bin heute ab 21.15 zu Gast in der Talkshow von "Servus TV" in den Salzburger "Red-Bull Studios". Die Sendung kann man live auf der Homepage ansehen oder auch später als Aufzeichnung.

Montag, 2. November 2009

Schweinegrippe als Konjunkturmotor

In der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil ist heute eine Coverstory zur Schweinegrippe erschienen. In habe dazu ein Interview mit der Public-Health-Expertin Claudia Wild geführt, deren Aussagen ich sehr interessant finde:


In Ländern wie Schweden lassen sich mehr als die Hälfte der Menschen gegen die neue Grippe impfen. Präsident Obama rief sogar den nationalen Notstand aus. Warum sind wir in Österreich diesbezüglich eigentlich so unbeeindruckt?

Wild: Ich finde, dass sich die Politik bei uns bislang relativ rational verhalten hat, indem sie bewusst zurückhaltend agiert. Die Schweinegrippe ist bei uns eine nicht bedeutsame Erkrankung. In Ländern mit mehr Todesfällen mag das anders sein. Bedenklich finde ich, dass auf Anordnung der WHO damit aufgehört wurde, die Erkrankten zu zählen. Nun erfährt man nur noch von den Todesfällen, weiß aber nicht, wie hoch das Sterberisiko tatsächlich ist.

Besonders gefährdet sind Schwangere. Gibt es dafür eine Erklärung?

Wild: Darüber haben wir auch im Pandemie-Ausschuss des Ministeriums lange diskutiert. Die Einschätzung beruht auf einer Zahl von 36 schwangeren Frauen, die in den USA gestorben sind. Zwei Drittel davon waren chronisch krank und hatten ein erhöhtes Risiko. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass in den USA jährlich 4,1 Millionen Babys zur Welt kommen, so liegt das konkrete Risiko einer Schwangeren bei einer Zahl, die hinter dem Komma drei Nullen hat.

Die Empfehlung, speziell Schwangere zu impfen, erscheint Ihnen also nicht nachvollziehbar?

Wild: Ich kann die ganze Impfung nicht nachvollziehen. Diesen Hype um ein neues Virus, das im Normalfall eine sehr leichte Form der Grippe macht.
Das muss man nicht so ernst nehmen.
Zudem wissen wir über die konkrete Wirkung viel zu wenig. Das ist leider bis heute eine Glaubensfrage geblieben, ob die Impfung – sowohl jene gegen die saisonale als auch jene gegen die neue Grippe – überhaupt schützt. Es gibt dafür wenig Evidenz, außer vielleicht in Pflegeheimen, wo stark immun geschwächte Menschen eng beisammen stecken.

Sind die Prüfungen der Zulassungsbehörden ausreichend?

Wild: Die Europäische Arzneimittelagentur ähnelt leider sehr stark einem Geheimklub. Die wissenschaftliche Community hat oft keine Chance, hier mitzudenken, weil viele Daten nicht offen gelegt werden. Bei Impfungen sind die großen Schäden selten und treten erst auf, wenn ich ein paar hunderttausend Menschen geimpft habe. Da braucht es ein gutes Überwachungssystem. Wenn von einer Krankheit ein sehr geringes Risiko ausgeht, so muss eine Impfung umso sicherer sein. Im Fall der Influenza wissen wir aber nicht mal, wie viele Grippetote es überhaupt gibt. Da gibt es nur die Schätzungen der Impfexperten über die vielen Tausenden Toten. Dabei handelt es sich um sehr alte sehr kranke Menschen, die zum Großteil mit dem Virus, aber nicht am Virus sterben.

Ist die Schweinegrippe, so wie das Professor Graninger kürzlich ausgedrückt hat, für Menschen, die keiner Risikogruppe angehören sogar eine Wohltat, weil sie immun macht gegen mögliche künftige Mutationen?

Wild: Die Schweinegrippe ist keine schwere Krankheit. Und sie stärkt auch das Immunsystem, wenn man sie einmal durchlaufen hat. Man sieht das bei den Älteren, die vermehrt gegen die Schweinegrippe immun sind, weil sie dem Virus irgendwann schon mal begegnet sind. Ein Immungedächtnis bekommt man aber nur, wenn man sich dem Virus aussetzt.

Die WHO argumentiert, dass sie auf Grund der bestehenden Fakten die höchste Pandemiestufe 6 ausrufen musste.

Wild:
Ich denke nicht, dass das formal in Ordnung war. Das Virus ist nicht so neu, wie getan wird. Ältere Leute haben eine Immunität dagegen. Die Definition für eine Pandemie musste zudem von der WHO extra geändert werden, weil das zuvor noch mit einem beträchtlichen Krankheits- und Sterberisiko verknüpft war.

Sie meinen, dass das eher als Konjunkturmotor für die Pharmaindustrie benutzt wurde?

Wild: Ja, hier sind in den letzten Jahrzehnten sehr wenige innovative Produkte heraus gebracht worden. Von Durchbrüchen – etwa im Bereich der Krebsmedizin – kann nicht mal Ansatzweise die Rede sein. Die Industrie konzentriert sich derzeit ganz stark auf dieses Segment. Impfungen haben einen sehr guten Ruf, auf den man aufspringen kann. Hier eröffnen sich riesige Märkte. Und für die Zulassung genügen ein paar Laborwerte, so wie z.B. der Antikörperspiegel. Dass die Geimpften dann auch wirklich geschützt sind, bedeutet das allerdings nicht. Ich sehe schon die Gefahr, dass die vielen sinnvollen Impfungen durch diese Inflation an Neuzulassungen irgendwann in Verruf geraten.

Derzeit sind drei Personen mit H1N1-Infektion in Österreich auf einer Intensivstation in Behandlung. Ein 11-jähriges Mädchen aus Südtirol, ein 41 jähriger Deutscher – und nun auch noch eine Schwangere in Wien. Lässt sich daraus schließen, dass die Schweinegrippe generell gefährlicher wird?

Wild: Es ist die Lupe, die Dinge vergrößert. Die Schlussfolgerung, dass diese Personen nicht erkrankt wären, wenn sie geimpft gewesen wären, greift zu kurz und zeugt nur von Gläubigkeit. Ich bleibe bei meiner Position: Wir müssen das Virus ernst nehmen, hinschauen, adequate situationsbezogene Reaktionen setzen. Ich warne aber vor Überreaktionen wie das prophylaktische Gaben von Tamiflu wären oder auch die Massenimpfung.


Claudia Wild, 49, leitet das vor drei Jahren gegründete Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment in Wien, das sich der wissenschaftlichen Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen widmet. Im September wurde die habilitierte Sozialmedizinerin von Gesundheitsminister Alois Stöger zusammen mit dem Infektionsexperten Wolfgang Graninger in den Pandemie-Ausschuss nach nominiert. Claudia Wild ist Mutter zweier Kinder und lebt in Wien.

Freitag, 2. Oktober 2009

Schweinegrippe: Zwangsimpfung für Gesundheitsberufe

Im Bundesstaat New York gingen Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte und sonstige Bedienstete von Gesundheits-Einrichtungen auf die Straße, um gegen die von den Behörden erlassene Impfpflicht gegen Influenza und Schweinegrippe zu demonstrieren.

Bereits bei der von Ex-Präsident Bush verfügten Impfung gegen Pocken - wegen des angeblichen drohenden Bioterror-Angriffs von Saddam Hussein - hatten die Gesundheitsbediensteten vehementen Widerstand geleistet. Damals musste Georg W. nachgeben.
Nun wehren sich die Gesundheitsberufler abermals.




Gerade diese Berufsgruppe erweist sich nun als Opposition gegen den Vorstoß der Behörden des Bundesstaates New York, wo im August als einzigem US-Bundesstaat eine gesetzliche Verpflichtung zur Pflichtimpfung gegen die saisonale und gegen die Schweinegrippe für alle Krankenhaus-, Heimpflege und Hospiz-Mitarbeiter beschlossen wurde. Als Begründung gaben die Behörden an, dass im Schnitt nur 42 Prozent dieser Berufsgruppe sich impfen lasse. Und das sei viel zu wenig, um die Patienten zu schützen. In der Altersgruppe der 65 bis 70 jährigen seien im Vergleich annähernd 70 Prozent geschützt.

Während es heftige Proteste von Seiten der Betroffenen hagelte, gab es für das Vorgehen auch Applaus. Etwa von Julie Gerberding, der kürzlich in den Ruhestand gewechselten Direktorin der staatlichen Behörde Centers for Disease Control (CDC). "A big deal!", nannte Sie gegenüber der New York Times den Impf-Vorstoß und fügte hinzu: "Es wird nun Zeit für aggressivere Maßnahmen."
Thomas R. Frieden, ihr Nachfolger im Amt als CDC-Boss sagte dazu: "Es ist derzeit noch nicht die richtige Grippe-Saison, um das anzugehen." Er bezog sich dabei auf die Versorgungs-Engpässe und Lieferschwierigkeiten, die viele Hersteller mit ihren Schweinegrippe Impfstoffen haben.

Auch immer mehr größere Kliniken - außerhalb von New York State - verlangen bestimmte Pflichtimpfungen von ihren Mitarbeitern. Bei einer Weigerung droht die Entlassung.

Eine Umfrage unter den Gesundheits-Beruflern ergab, dass viele Sorgen um die Nebenwirkungen der Grippe-Impfstoffe haben. Andere meinen, ihr Immunsystem sei stark genug, um diese Belastung auszuhalten, wieder andere bemängeln die schlechte Wirkung der Grippe-Impfungen im allgemeinen.

Unterstützung dafür bekommen sie von Tom Jefferson, dem Leiter der Cochrane Vaccine Field, der mit seiner Arbeitsgruppe unabhängiger Wissenschaftler die gesamte Evidenz zu Influenza-Impfstoffen aufgearbeitet hat. "Diese Impfungen funktionieren generell sehr schlecht", sagt Jefferson. "Es gibt 200 bis 300 Viren, die Grippe artige Symptome auslösen können. Warum sollten wir gegen zwei davon impfen? Das ist purer Unsinn."

Mittwoch, 30. September 2009

14-jährige starb nach HPV-Schulimpfung

In Großbritannien ist eine heftige Diskussion über die Gefährlichkeit der HPV-Impfung ausgebrochen, nachdem am Montag, unmittelbar nach dem Impftermin in einer Schule in Coventry, ein 14-jähriges Mädchen gestorben ist. Eine weitere Schülerin musste ärztlich versorgt werden und ist - laut Auskunft ihrer Mutter - in nach wie vor schlechtem Zustand. Die Behörden unterbrachen die Impfkampagne und die Herstellerfirma GlaxoSmithKline zog die betroffenen Impf-Chargen - insgesamt 200.000 Dosen - ein.

Die 14-jährige Natalie Morton (Foto: Daily Mail) wurde Montag vormittag, im Rahmen einer Impfaktion in ihrer Schule, gegen Humane Papilloma Viren (HPV) geimpft. Binnen kurzem wurde sie blass. Sie sagte, ihr ist schlecht und sie kollabierte im Klassenzimmer. Der Notarzt wurde gerufen, sie wurde in die Klinik gebracht, ihr Zustand verschlechterte sich rapide. Bereits wenige Stunden nach dem Impftermin mussten die Ärzte den Kampf um das Leben des Mädchens verloren geben.
In einer ersten Untersuchung der Todesursache verlautbarte eine Sprecherin der staatlichen Gesundheitsbehörden, dass es einen Verdacht auf eine vorhandene schwere Gesundheitsstörung bei Natalie gebe, die für den Tod des Mädchens verantwortlich sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Impfung den Tod unmittelbar ausgelöst hatte, sei gering. Nähere Angaben zu dieser Gesundheitsstörung wollten die Behörden aber derzeit noch nicht machen.

Die Tageszeitung Daily Mail berichtet über eine zweite Schülerin, die nach der Impfung zusammen brach und medizinisch behandelt werden musste. Nach Auskunft der Mutter liegt das Mädchen derzeit mit starken Brust- und Rückenschmerzen zu Hause.
In den 18 Monaten, die nun in Großbritannien gegen HPV geimpft wird, sind 1,4 Millionen Impfstoff-Dosen verimpft worden. In 4.557 Fällen wurden Nebenwirkungen an die Behörden gemeldet. Vor allem handelte es sich dabei um Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Dass Mädchen nach der HPV-Impfungen häufig ohnmächtig werden, ist bekannt. Es wurden aber auch schwerere Verdachtsfälle gemeldet. Ein Mädchen aus Liverpool litt etwa an Lähmungen und war für sechs Monate auf einen Rollstuhl angewiesen.

Die in Großbritannien von den Behörden aufgekaufte und gratis angebotene HPV Impfung ist Cervarix vom europäischen Hersteller GlaxoSmithKline. Im Gegensatz zum Marktführer Gardasil ist Cervarix von der US-Arzneimittelbehörde FDA bisher noch immer nicht für den US-amerikanischen Markt zugelassen. Als Ursache dafür werden Sicherheitsbedenken der US-Behörden genannt, weil Cervarix mit seinem Adjuvantiensystem "AS04" einen neuartigen Hilfsstoff enthält, der bisher noch nie in einer Massenimpfung enthalten war.
Bei AS04 handelt es sich um eine Verbindung aus Aluminiumhydroxid und einem Protein, das der Hülle von Salmonellen entnommen wurde. Es verstärkt die Immunreaktion auf die in Cervarix enthaltenen Wirkstoffe. Dabei handelt es sich um die abgetöteten und ausgehölten Hüllen der HPV-Typen 16 und 18, so genannte "virus-like particles".
Cervarix stellt die stärkere Immunreaktion, die es auslöst, in den Mittelpunkt seiner "Aufholjagd" gegenüber dem Konkurrenten Gardasil. Dass mit der biochemisch verstärkten Immunreaktion immer auch eine gewisse Gefahr einher geht, dass diese Reaktion "entgleist" und gesundheitlichen Schaden anrichtet, ist bekannt - und auch einer der Gründe für die bisherige Vorsicht der FDA.

Wie sich Cervarix konkret gesundheitslich auswirkt, und wie breit sein Nebenwirkungs-Spektrum ist, ist schwer zu beurteilen, weil es in den großen klinischen Tests, wo dies geprüft hätte werden können, jeweils nur gegen andere - ebenfalls über Aluminiumsalze verstärkte - Impfstoffe getestet wurde. Die von den Hilfsstoffen ausgehenden Nebenwirkungen waren damit maskiert, weil sie ja sowohl in der Cervarix- als auch in der Kontrollgruppe enthalten waren.
Für das neuartige Adjuvantiensystem selbst sind keine eigenen Sicherheits-Tests am Menschen vorgesehen. Hier genügen den Behörden Ergebnisse aus Tierversuchen.
Immer mehr Mediziner und Wissenschaftler kritisieren diese Vorgangsweise als verantwortungslos und fordern eine wissenschaftliche Klärung des Risikos, das von diesen Impfverstärkern ausgeht. Und zwar in eigenen Sicherheits-Studien unter Verwendung wirklicher Placebo-Impfstoffe - etwa eine physiologisch neutrale Salzwasser-Lösung - in den Kontrollgruppen.

Donnerstag, 24. September 2009

Schweinegrippe: So geht Lobby

Unter Druck der Pharmakonzerne haben die Politiker zugeschlagen und um rund eine Milliarde Euro Schweinegrippe-Impfstoff bestellt. Zwei Drittel der Deutschen wollen sich aber "sicher nicht" gegen die Schweinegrippe impfen lassen. Das restliche Drittel überlegt noch.
Jörg Böcker, Moderator eines sehenswerten Beitrages des ARD Magazins "Plusminus" schlägt eine Alternative vor: "Wie schön wäre es, wenn sich die Politiker gegen die Lobbyisten der Pharmaindustrie impfen lassen könnten."


Auch Harald Schmidt hat sich dem Thema Schweingrippe gewidmet.
Auf sehr amüsante Weise:

Mittwoch, 23. September 2009

„Brot war ein Nebenprodukt des Bierbrauens“

Der Münchner Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf über die ursprüngliche Verwendung von Getreide und die Sesshaft-Werdung des Menschen.



Sie haben mit der These Aufsehen erregt, dass Getreide tausende Jahre vor der Erfindung des Brotbackens bereits für das Brauen von Bier verwendet wurde.


Reichholf: Den Ackerbau auf der Basis von Körnern konnte man nicht direkt erfinden, weil der Ertrag bei den zur Verfügung stehenden Wildgräsern zu unergiebig gewesen wäre. Wenn man aber die Körner, so wie das bei Beeren und Obst ja auch gemacht wurde, zu alkoholhaltigen Flüssigkeiten vergärt, dann kann das Gebräu von den Schamanen für ihre Riten eingesetzt werden und die Gruppe kommt in eine entsprechende Stimmung.

In den Geschichtsbüchern liest man aber das Gegenteil. Da steht beispielsweise, dass Bier wahrscheinlich zufällig erfunden wurde, indem feuchtes Brot zu gären begann.

Reichholf:
Das ist höchst unwahrscheinlich. So etwas würde ja nur funktionieren, wenn man genug Getreide verfügbar hat. Bier wurde aber bereits getrunken als die Menschen noch nomadisch lebten. Und da gab es keine Möglichkeit, die große Menge an Körnern entsprechend aufzubewahren. Man muss Getreide luftig und trocken in Lagerhäusern aufbewahren. Das setzt voraus, dass die Menschen bereits sesshaft waren. Getreide als Nahrungsmittel in Tontöpfen aufzubewahren funktioniert nicht – darin verschimmelt es. In den großen Töpfen fanden gleich die Gärungsprozesse statt. Das kann man mit Hilfe der Molekulargenetik sehr schön nachweisen. Die ältesten Zeugnisse davon haben wir in Keilschrift aus der frühbabylonischen Zeit. Daraus geht hervor, dass in den allermeisten Haushalten Bier gebraut wurde – und zwar von den Frauen.

Das war dann aber mehr ein Lebensmittel und hatte keinen religiösen Zweck?

Reichholf: Genau. Das war gleichsam die Profanisierung des ursprünglichen Rituals, ganz ähnlich wie beim Rauchen. So lange Haschisch oder Tabak rar waren, wurde nur bei bestimmten Anlässen geraucht. Da war es noch verbunden mit Ritualen. Die Zigarette ist natürlich etwas völlig anderes als die Friedenspfeife der Indianer, oder auch die Opium oder Wasserpfeife, wo ja das Rauchen zelebriert wird. So ähnlich war das beim Alkohol. Er wurde anfangs bei rituellen Treffen verwendet. Erst später, als Wildgetreide in Kultur genommen und fast beliebig verfügbar war, wurde Bier alltäglich.
Dabei wurde auch das Brot entdeckt - es war ein spätes Nebenprodukt der Biergewinnung.

Was genau ist der Zweck eines Rausches, der ja für die frühen Gemeinschaften scheinbar so attraktiv und wichtig war?

Reichholf: Umherschweifende Nomadengruppen waren untereinander Konkurrenten um Fleisch und gute Jagdgründe. Beim Feiern jedoch werden sie zu Genossen. Zu Menschen, die gemeinsam genießen und damit stärker aneinander gebunden werden. Biologen haben den Aspekt betont, dass damit auch das Problem der Inzucht bekämpft wurde, das umher schweifende kleinere Gruppen immer haben. Bei den Treffen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Plätzen ging es wahrscheinlich auch um den genetischen Austausch. Ob das mehr oder weniger spontan erfolgte, weil man im Rausch nicht mehr so genau aufpasste, wer sich da mit wem einließ, oder ob es bei den Treffen zum direkten Frauentausch gekommen ist, das ist wieder sekundär. Das hängt von der Situation der einzelnen Gruppen ab.

Haben sich die Frauen auch berauscht?


Reichholf: Dort wo es historisch dokumentiert ist, waren die Frauen ganz fest mit dabei. Ich habe es Im Amazonas-Gebiet erlebt, wo ich längere Zeit bei Indianerstämmen verbracht habe. Da trafen sich die Gruppen, die ja eigentlich nur Großfamilien-Verbände darstellten, und feierten unter der Anleitung von Schamanen. Es gab anfangs ritualisierte Kämpfe, bei denen die Männer hart im Nehmen sein mussten. Damit ist die Aggression vermindert worden. Aber eine richtige Stimmung entstand erst, wenn sie das Spuckebier, das Chicha, in entsprechend großen Mengen getrunken hatten. Und das bereiteten die Frauen zu. Dabei wurde mit dem Speichelferment die Stärke in Zucker gespalten und in eine Gärung versetzt. Nach zwei bis drei Tagen entstand in der tropischen Wärme ein Chicha-Bier mit einem Gehalt von etwa zwei Prozent Alkohol. Davon haben Männer und Frauen große Mengen - etwa zehn Liter am Tag – getrunken und waren dann auch entsprechend „beschwingt“, wie nach ein paar Maß Bier.


Joseph H. Reichholf, 64, ist Evolutionsbiologe und Leiter der Wirbeltierabteilung an der Zoologischen Staatssammlung in München, sowie Professor für Ökologie und Naturschutz an der TU-München. Mit seinem Buch „Warum die Menschen sesshaft wurden“ (Verlag S. Fischer, 2008) sorgte er für eine anhaltende Wissenschaftliche Kontroverse über die Ursprünge von Ackerbau und Zivilisation.
Dieses Interview erschien im Rahmen des profil-covers "Rausch und Ritus", Foto: dpa

Montag, 14. September 2009

Rausch und Ritus – Die Anfänge der Zivilisation


Forscher präsentieren eine neue Theorie über die Anfänge der Zivilisation. Schrift, Astronomie, Ackerbau und Medizin entstanden demnach als Nebenprodukte der Religion. Schamanen und Priester trieben die Wissenschaft aus sehr profanen Gründen voran – um ihre privilegierte Position in der Gesellschaft zu sichern.


Am Anfang war der Konjunktiv: Die Fähigkeit des Menschen zur Sprache war das entscheidende Werkzeug, um Möglichkeiten zu besprechen, die über eine konkrete Situation hinausgingen. Und so wurden schon an den urzeitlichen Lagerfeuern in einem Mix aus erinnerter Erfahrung und Fantasie die gerade aktuellen Themen erörtert. Etwa die Frage, wie das Wetter wird, ob die Sippe weiterziehen soll, oder warum die Menschen sterben.

Darin liegt der entscheidende evolutionäre Unterschied zu den Neandertalern. „Man geht zwar davon aus, dass diese auch sprechen konnten“, sagt Andre Gingrich, Direktor des Instituts für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Es handelte sich dabei aber eher um ein kontextgebundenes Geräuschemachen.“ Das reichte zwar, um einen Überfall auf ein Mammut zu organisieren, versagte aber, sobald es um komplexere Themen ging.
Dass sich die Menschen mit solchen zumindest grundsätzlich auseinandersetzen konnten, schuf offenbar bereits bei den Steinzeitmenschen ein ganz besonderes und überaus bedeutendes Berufsbild, das die Entwicklung des Homo sapiens über die Jahrtausende nachhaltig prägen sollte: den Schamanen. „Die Schamanen erweisen sich in allen Gesellschaften als die ersten intellektuellen Spezialisten“, sagt Gingrich. „Aus ihnen entstanden später die Priester, die Mediziner und die Wissenschafter.“ Und die Schamanen bildeten dank ihrer mannigfaltigen Entdeckungen einen wichtigen Motor der Zivilisation und Kultur.

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse
so unterschiedlicher Fachgebiete wie Evolutionsbiologie, Archäologie und Kulturanthropologie liefern erstaunliche Einblicke in diesen frühen Prozess der menschlichen Entwicklung am Übergang vom Nomadentum zu den ersten Hochkulturen. Und sie belegen den enormen Einfluss, den dabei die Mythologie und die später daraus entstandenen Religionen hatten. Anders als traditionell angenommen stand dabei jedoch oft weniger der Glaube an ein Jenseits im Zentrum als recht profane Taktiken der Alltagsbewältigung und des ganz persönlichen Machterhalts von Schamanen, Priestern und Medizinmännern.

Der Begriff Schamane stammt ursprünglich aus Sibirien und leitet sich vom tungusischen Ausdruck „saman“ ab, was „der Wissende“ bedeutet. Ihre Hauptaufgabe war zunächst, mit den allgegenwärtigen Geistern klarzukommen. In vielen Völkern blieben die Mythologien auf Geistwesen beschränkt, in anderen kam der Glaube an bestimmte Gottheiten auf. Diese Entwicklung vollzog sich weltweit in den verschiedensten Varianten. „In der gesamten Geschichte der Anthropologie wurde jedoch noch nie ein Volk entdeckt, das keine Religion hatte“, so Gingrich. „Eine nicht religiöse Stammeskultur gibt es nicht, das ist eines der ältesten Grundbedürfnisse der Menschheit.“

Geister oder Naturgötter mussten günstig gestimmt werden, damit das ersehnte Jagdwild erschien, das Wetter hielt und die Toten nicht aus dem Jenseits zurückkehrten, um sich für erlittenes Unrecht zu rächen. Dazu entwickelten die Schamanen Rituale und Trancetechniken. „Wenn der Schamane in Trance fällt, reist er in die andere Welt“, erklärt die Wiener Ethnologin Gabriele Tautscher. „Sein Mund wird zum Sprachrohr eines Geistes oder der Ahnen.“ Meist waren dann Opfergaben nötig, um die Forderungen des Jenseits zu befriedigen. Bis heute bildet in schamanischen Gesellschaften ein Teil dieser Opfer auch gleichzeitig die Entlohnung der Schamanen.


Selbstversuch.
Den Trancezustand erreichten Schamanen mithilfe verschiedener Techniken, meist aber unter Einnahme von Rauschmitteln, die im Rahmen von Ritualen mit dem Volk geteilt wurden. Die Drogen wurden von den Schamanen gesammelt und im Selbstversuch getestet. Unzählige verloren dabei ihr Leben. Noch heute rührt bei Naturvölkern ein großer Teil des Nimbus, der Schamanen umgibt, aus deren Mut, sich „mit den Geistern der Giftpflanzen“ einzulassen. Die Rezepturen für die Drogen bildeten zugleich das erste Geheimwissen, das für die übrigen Mitglieder des Stammes tabu blieb und nur an wenige Eingeweihte weitergegeben wurde. Den Schamanen kam auch bei Konflikten im Stamm eine wichtige Rolle zu: Sie fungierten als Mittler und Richter. Ihr geheimes Wissen verlieh ihnen die Macht dazu, erklärt der Wiener Kulturanthropologe Andreas Obrecht: „In Gesellschaften, in denen es kein bürgerliches Recht gibt und auch keine weltliche Gewalt, wird eben über die Androhung von Verhexung gesellschaftlich adäquates Verhalten hergestellt.“ Die Schamanen entwickelten außerdem schon früh Kenntnisse der Pharmakologie. Diese Medizinmänner und -frauen waren die ersten Botaniker und wussten, wo bestimmte Kräuter zu finden waren, und begannen bei einzelnen, besonders wichtigen Pflanzen auch mit deren Kultur, indem sie einen Vorrat an Samen und Setzlingen mitführten, wenn die Sippe weiterzog.

Einen entscheidenden Beitrag zum langsamen Übergang von den steinzeitlichen Gesellschaften mit ihren nomadisierenden Gruppen zur beginnenden Zivilisation leistete das Klima. Vor etwa 12.000 Jahren endete die letzte Eiszeit, und mit dem Holozän, der jüngsten geologischen Epoche der Erdgeschichte, entstanden über die zunehmende Erwärmung große, sehr fruchtbare Landstriche. Speziell begünstigt war der „Fruchtbare Halbmond“, der von Ägypten über den Süden der Türkei bis nach Persien reichte.

Die schamanistischen Zauberer entwickelten sich in dieser Umbruchzeit zum einflussreichen Stand der Priester, die aus ihrem über Jahrhunderte angehäuften Wissen Kapital schlugen. Sie behaupteten weiter das Privileg, näher an den Göttern zu sein, und leiteten daraus in manchen Kulturen, etwa in Ägypten, sogar einen Herrschaftsanspruch ab. Generell bewachten sie ihren Wissensschatz eifersüchtig und entwickelten Geheimsprachen und erste Schriftzeichen. Damit ging in den Hochkulturen meist eine starke patriarchalische Ausrichtung einher. Die Frauen, die bei den Naturvölkern noch selbstverständliche schamanische Aufgaben innegehabt hatten, wurden von den Priestern an den Rand gedrängt.

Und nach wie vor blieben die Priester der Motor der Wissenschaft – nicht zuletzt, um ihre Privilegien zu verteidigen und eventuelle Konkurrenten oder Neider auf Distanz halten zu können. So erarbeiteten sie sich Kenntnisse in Mathematik und Astronomie, schufen erste Kalender und waren damit etwa fähig, den Monsun auf eine Woche genau vorherzusagen. Und wer „den Regen beschwören kann“, der muss enorm gute Beziehungen „nach oben“ haben.

Mythologie. Während das Wissen über die schamanischen Mythen der Urzeit meist aus Funden wie Felszeichnungen, rituellen Figuren und Grabbeigaben sowie der Erforschung von Naturvölkern stammt, liefert die Geschichte Indiens die Möglichkeit, die mythologische Praxis authentisch zu studieren. Die erste geheimnisvolle Hochkultur war hier ab 2800 vor Christus im heutigen Pakistan entstanden und brachte mehr als 100 Städte mit einem Zentrum in Harappa hervor. Um 1800 vor Christus ging die Harappakultur jedoch abrupt zu Ende. „Die Menschen verschwanden ohne Anzeichen von Krieg oder Seuchen“, berichtet Ernst Prets vom Institut für die kulturelle und intellektuelle Geschichte Asiens in Wien. „Es wurden nicht einmal Gebeine oder Gräber gefunden. Die Städte versanken einfach im Sand.“

Etwa ab dieser Zeit wanderte über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren ein indo-iranisches Nomadenvolk vom Nordosten auf die indische Halbinsel ein und brachte die bis dahin unbekannten Pferde und Rinder mit. Für diese „Arier“ („die Edlen“), wie sie sich selbst bezeichneten, war Sesshaftigkeit verpönt. Deshalb sind auch keine architektonischen Spuren erhalten, dafür jedoch die Schriften des Veda: Dieses „Wissen“, so die wörtliche Übersetzung, ist kulturhistorisch von enormer Bedeutung, weil es – als einzigartige Kombination von Nomadentum und schriftlicher Überlieferung – Einblick gibt in die Denkwelt und Lebensweise einer Gesellschaft am Übergang zur Zivilisation. Die Texte sind Abschriften von mythischen Gesängen, die in der Zeit von 1700 bis 1100 vor Christus entstanden und laut Thomas Oberlies, Indologe an der Universität Göttingen, „mit einer Treue unverändert bewahrt wurden, wie wir sie bei kaum einem anderen Werk der Weltliteratur kennen“. Entsprechend gespannt versuchten die Experten, die uralten Texte zu übersetzen.

Als dies schließlich gelang, war die Ernüchterung groß. Den Wiener Indologen Leopold von Schröder, der sich Ende des 19. Jahrhunderts um Entschlüsselung bemühte, erinnerten die Texte zunächst an die Aufzeichnungen von Schwachsinnigen. „Man möchte oft geradezu daran zweifeln, ob man es noch mit verständigen Menschen zu thun hat“, notierte er 1887 als Zwischenbemerkung zu seiner Übersetzerarbeit am so genannten Soma-Mandala des Rigveda. In dem vedischen Dokument mit zahlreichen Wiederholungen, sprunghafter Dramaturgie und vielen Traumbildern wird ausführlich die Zubereitung der Rauschdroge Soma besungen. In jüngster Zeit setzte sich die Meinung durch, dass wohl die Gesänge selbst im halluzinogenen Soma-Rausch verfasst wurden. Die Zutaten der Droge wurden von vedischen Priestern gesammelt, gepresst und schließlich in Butter aufgelöst. Die heilige Essenz stand im Zentrum zahlreicher Rituale und Volksfeste.

Die Kombination von Riten und Räuschen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Völker – und stellt nach Ansicht vieler Forscher einen Keim der Zivilisation dar. Für den Münchner Evolutionsbiologen Josef H. Reichholf hängt sogar der Prozess des Sesshaftwerdens der Menschen, der ab etwa 6000 vor unserer Zeitrechnung begann und um 3500 vor Christus zur Bildung der ersten größeren Siedlungen – beispielsweise in Uruk, Jericho und Babylon – führte, unmittelbar damit zusammen. Den Auftakt dafür bildeten laut Reichholf regelmäßige Treffen noch nomadisierender Menschen an bestimmten Kultplätzen. Die Treffpunkte wurden von Schamanen mittels Sternenkalender bestimmt, und weil die wilden Gesellen einander wohl zunächst nicht immer wohlgesonnen waren, trugen die Drogen möglicherweise zum Spannungsabbau bei. Gemeinsames Feiern und Berauschen war demnach Voraussetzung für das, was in modernen Manager-Seminaren gerne als „Community-Building“ bezeichnet wird.

Manche Kulturen schufen für ihre Ritua­le eindrucksvolle Kulissen. Beispiele dafür sind das englische Stonehenge oder das erst in den neunziger Jahren vom deutschen Archäologen Klaus Schmidt in seiner Bedeutung erkannte Bergheiligtum von Göbekli Tepe im Süden der Türkei. Schmidt fand heraus, dass es sich dabei um die älteste Tempelanlage der Welt mit einem Alter von 11.500 Jahren handelt. Bis heute sind nur wenige Prozent der gigantischen Anlage freigelegt. Sie gilt als Jahrtausendfund, weil bislang die Ansicht vorherrschte, dass eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern gar nicht in der Lage sein könnte, ein derartiges Monument zu errichten – geschweige denn die dafür nötigen Arbeiter in Zeiten vor der Praxis des Ackerbaus zu ernähren. Schmidt schätzt, dass etwa 500 Männer nötig waren, um die zehn bis 20 Tonnen schweren Pfeiler aus den Steinbrüchen zum Bauwerk zu transportieren. Einzelne Teile wiegen bis zu 50 Tonnen. Schmidt geht davon aus, dass Göbekli Tepe das Zentrum eines schamanischen Totenkults war, in dem sich in regelmäßigen Abständen die nomadischen Stämme zu ihren Riten trafen. In den Pfeilern finden sich eingeritzte Figuren von Menschen mit Tierköpfen, aber auch sehr naturnahe gestaltete Beutetiere wie Auerochsen, Gazellen und Wildschweine.

Bierbrauer. Reichholf hält besonders die dort ebenfalls vorgefundene Darstellung des Urgetreides Einkorn für bemerkenswert. „Im bergigen Umfeld bietet sich eigentlich keine Möglichkeit des Anbaus von Getreide, zudem war es erst tausende Jahre später über die Entwicklung des Ackerbaus möglich, ausreichend Brot für die Ernährung der Menschen herzustellen“, argumentiert Reichholf. Er hält es deshalb für wesentlich wahrscheinlicher, dass das Wildgetreide von den einzelnen Stämmen mitgebracht, an Ort und Stelle zu Bier vergoren und dann im Rahmen schamanistischer Feste getrunken wurde. (Siehe Interview)

Da jeder Stamm für die gemeinsamen Feiern diese schmackhaften Wildgräser sammelte und die besten Körner mitbrachte, dürfte auch die Heranzucht und Kreuzung von ertragreicheren Sorten gefördert worden sein. Reichholf denkt, dass erst dadurch der eigenständige Anbau von Getreide rentabel wurde – zunächst im näheren Umkreis der Kultstätten für das Brauen von Bier, erst viel später, nachdem geeignete Häuser zur Lagerung des Getreides zur Verfügung standen, auch für Brot. Demnach wären der schamanistische Hang zu Rausch und Riten auch ein wesentlicher Förderer der so genannten „neolithischen Revolution“, die mit der Sesshaftwerdung des Menschen, mit Ackerbau und Vorratshaltung die Ausbildung der Agrargesellschaften und damit das Ende der Steinzeit markierte.

Mit diesen Thesen, die das bisherige Bild der historischen Entwicklung massiv infrage stellen, steht Reichholf auch im Mittelpunkt einer Reihe von Veranstaltungen, die für kommenden November in Wien geplant sind. „Wir stimmen in einigem nicht überein, haben ihn aber eingeladen, um im Detail darüber zu diskutieren“, sagt Sven Tost, Experte für Alte Geschichte und Altertumskunde an der Universität Wien.

Privilegien. Mit dem Übergang zur Agrargesellschaft wandelten sich die Schamanen allmählich zu Priestern, die ihr über viele Generationen erworbenes Wissen und den exklusiven Kontakt zu den Göttern nun für Privilegien des Alltagslebens nützten. In Indien wurde aus den Erben der nomadisierenden Veden-Schamanen die Kaste der Brahmanen, die für sich und noch vor der Kaste der Krieger und Fürsten den ersten Rang in der Gesellschaftshierarchie beanspruchte. Eifersüchtig wachten sie über ihre Geheimnisse – und darüber, dass diese auch solche blieben. Auf die Entwendung eines brahmanischen Schriftstücks stand gar die Todesstrafe. Als ihre hauptsächliche Aufgabe sahen die Priester vor allem die Bewahrung ihrer Reinheit sowie die Durchführung der Riten. Dass die Gesänge und Zeremonien für die anderen Teilnehmer verständlich blieben, war dabei gar nicht erwünscht. „Eher im Gegenteil“, sagt der Wiener Religionsphilosoph Adolf Holl. „Priester mussten immer versuchen, die normalen Leute auszuschließen, um selbst ihre Exklusivität zu bewahren.“

Auch aus diesem Bedürfnis heraus entwickelte sich eine weitere zivilisatorische Innovation, nämlich die Schrift. Sie wurde ebenfalls von Priestern begründet. Priester schrieben naturgemäß für andere Priester und verwendeten ihre Schriftzeichen bald auch für wirtschaftliche Tätigkeiten – etwa für die Organisation des Handels in den Tempelbezirken. Die ersten Texte waren demnach entweder religiöse Quellen oder kaufmännische Besitzurkunden und Steuer- oder Abgabenbescheide.

Mit der Zurschaustellung des – nicht zuletzt aus der privilegierten Position resultierenden – eigenen Wohlstands liefen die Priester jedoch auch Gefahr, selbst zur Zielscheibe von Angriffen zu werden. „Der Priesterjob mit seinem hohen Status war immer eine Gratwanderung“, erklärt der Anthropologe Gingrich. „Einerseits mussten die Priester ihre Aktivitäten als lebensnotwendig darstellen, andererseits mussten sie Acht geben, dass sie nicht als Schmarotzer in Verruf kamen, wenn sie zu viel in die eigene Tasche streiften.“

Daraus konnte durchaus die Gefahr einer Konkurrenzreligion erwachsen. Als beispielsweise der Aufwand für die von den Brahmanen Indiens regelrecht inflationär durchgeführten Tieropfer für die Bevölkerung nicht mehr tragbar war, entstanden als Gegenbewegung einige radikalasketische Bewegungen sowie der Buddhismus, der einen wesentlich rationaleren Umgang mit Opferritualen verfolgte.

Doch fast scheint es, als ob kein Irrweg zu extrem sein könnte, ohne dass daraus letztlich nicht doch zivilisatorischer Nutzen entstünde. Über die minutiöse Planung und Erprobung der Tieropfer gelangten die Brahmanen nämlich zu wertvollen Kenntnissen über die Organfunktionen, die der indischen Kultur zu einem weiteren Spitzenplatz im Wettstreit der Zivilisationstechniken verhalf: Hier entstand das weltweit mit Abstand älteste Lehrbuch zur Chirurgie. Indische Ärzte führten bereits hochkomplizierte Eingriffe durch – beispielsweise die Operation des grauen Stars am offenen Auge –, als im keltischen Europa noch die Druiden mit ihren Rasseln und Trommeln die Geister um Vermittlung anflehen mussten.


Diese Story ist Mitte August als profil-cover erschienen.

Donnerstag, 6. August 2009

Reform im Schwarzen Loch


Vor vier Jahren wurde die Gesundenuntersuchung reformiert. Die gesetzlich vorgesehene wissenschaftliche Bewertung ihres Nutzens ist jedoch bis heute ausständig.

Etwa 800.000 Österreicher gehen jedes Jahr zur Gesundenuntersuchung. Die Kosten dafür liegen bei rund 70 Millionen Euro. Im Herbst 2005 präsentierte die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat die Reform des seit der Einführung im Jahr 1974 nahezu unveränderten Programms. Dabei wurden einige der Tests, die sich im Lauf der Jahre angesammelt hatten, entrümpelt, weil deren Nutzen laut internationaler wissenschaftlicher Evidenz bei Routine-Untersuchungen an Gesunden nicht erwiesen ist. Beispielsweise das Belastungs-EKG. Andere Tests blieben, nach heftiger Gegenwehr der Ärztevertreter im Programm. Sie sollten aber laufend evaluiert und nach spätestens zwei Jahren entfernt werden, wenn sich – wie zu erwarten war – kein Nutzen zeigt. In diese Kategorie fällt ein Test auf Leberwerte, ein Harnstreifentest bei Jüngeren und das so genannte „rote Blutbild“ bei Frauen. Bei diesen Tests besteht die Gefahr, dass sie häufig Fehlalarm mit kostspieligen und für die Betroffenen Nerven aufreibenden Nachfolge Untersuchungen auslösen. Die Leberwerte werden hingegen oft erst auffällig, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist. „Dadurch“, erklärt der Vorsorge-Experte Franz Piribauer, der im Hauptverband für die wissenschaftliche Begleitung der Reform zuständig war. „werden Menschen mit problematischem Alkoholkonsum viel zu lange im Glauben gelassen, dass alles in Ordnung ist.“
Erstmals wurde auch vermehrter Wert auf Lebensstil-Beratung über gesunde Ernährung, Abnehmen, Alkohol-, oder Raucherentwöhnung gelegt und dies den Ärzten auch mit insgesamt knapp 70 Euro honoriert. Doch ob sie dies in der Praxis auch tun, ob die empfohlenen Maßnahmen greifen und ob die Menschen in Summe von der Gesundenuntersuchung profitieren, weiß man heute genau so wenig wie vor 35 Jahren. Zunächst funktionierte die Weitergabe der Daten nicht. Dies besserte sich erst, als die Abrechnung der Untersuchung mit dem Eingang des Dokumentations-Bogens verknüpft wurde. Nun spießt es sich wiederum an der Zuverlässigkeit der Befund-Daten und der fehlenden Verknüpfung mit Nachfolge-Untersuchungen. In einer jüngst präsentierten Zwischenbilanz hieß es deshalb: „Klare Aussagen zu direktem Nutzen bzw. Schaden der Vorsorgeuntersuchung sind nicht möglich.“
Als bislang aussagekräftigste Untersuchung gilt deshalb ein vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) in Kooperation mit dem Hauptverband organisierter Test, bei dem zwei in ihren Krankengeschichten „präparierte“ Patienten bei 21 Wiener Ärzten eine Vorsorge-Untersuchung absolvierten. „Erfreulich war, dass der Großteil der Ärzte sich viel Zeit für das Abschlussgespräch nahm“, fasst Bärbel Klepp, die Projektleiterin des VKI, die Ergebnisse zusammen. „Erschreckend schlecht war in Einzelfällen jedoch die Dokumentation der Ergebnisse.“ Da wurde die Raucherin mehrfach als Nichtraucherin angekreuzt und dem männlichen Probanden eine „auf eigenen Wunsch durchgeführte“ Aufklärung über Prostatakrebs eingetragen, obwohl der Mann nach einer Operation gar keine Prostata mehr hat. „Hier muss sich noch einiges bessern“, sagt Klepp. „Denn so macht eine wissenschaftliche Auswertung wenig Sinn.“

Dieser Artikel ist im Rahmen der profil-Titelstory vom 3. August als Infokasten erschienen.

Dienstag, 4. August 2009

„Keine Ausreden auf die Gene“

Der Wiener Medizinökonom Ernest G. Pichlbauer plädiert für Bonus-Malus-Systeme, um im Gesundheitssystem Kosten einzusparen.

profil: Soll man Patienten bestrafen, die trotz Warnungen weiterhin ungesund leben, indem sie etwa auf notwendig gewordene Operationen länger warten müssen, so wie dies kürzlich der Präsident der deutschen Ärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe vorgeschlagen hat?

Pichlbauer: Belohnungs- und Bestrafungssysteme funktionieren nur dann, wenn sie wirklich unmittelbar ansetzen. Und zwar in dem Moment, wenn etwas festgestellt wirst. Wenn man zum Arzt geht und man hat vereinbarte Ziele nicht erreicht – man hat nicht aufgehört zu rauchen, nicht abgenommen, etc. - dann würde der Selbstbehalt sofort höher, man hätte eine Strafe zu zahlen, oder bekäme keinen Bonus. So wie beim wahrscheinlich erfolgreichsten Präventionsmodell, der Mutter-Kind-Pass Untersuchung. Die arbeitete mit einem Belohnungs-Anreiz. Solche Modelle muss man natürlich immer wieder evaluieren, nachjustieren, sehen ob die gewünschte Steuerung auch greift.

profil: Und jemand zu bestrafen, wenn etwa die Hüftoperation schon ansteht?

Pichlbauer: Das bringt nichts, weil der Mensch dann ja nichts mehr machen kann. Auch wenn es diesem Patienten zehn Jahre lang gesagt wurde. Dann ist es zu spät. Ganz anders wäre es, wenn man jemand, der auf eine künstliche Hüfte wartet, zum Abnehmen rät. Das ist der englische Weg. Da kriegst Du Deine Hüfte nur, wenn Du beispielsweise den Body-Mass-Index von 30 auf 27 reduzierst. Und das ist wiederum wirksam, weil hier der Patient aktiv eingreifen kann. Es muss die Betroffenheit erzeugt werden, sonst passiert eine Änderung nicht. Der Patient muss das verstehen und sich selbst entscheiden.


profil: Drängt man dadurch die Ärzte nicht in eine Rolle, wo sie die Patienten als eine Art Gesundheitspolizisten strafen oder verpfeifen müssen?


Pichlbauer: Diese Gefahr sehe ich nicht, weil es sich dabei ja um Programme der öffentlichen Versorgung handelt. Arzt und Patient wären hier Partner. Patienten müssen zum Koproduzenten ihrer Gesundheit werden, sonst funktioniert das überhaupt nicht. Und wenn sie sich nicht daran halten, so ist es nicht eine Strafe durch den Arzt, sondern ein selbst gewählter Weg. Die Ziele müssen vorher bekannt sein: Wer zur Vorsorgeuntersuchung geht, bekommt beispielsweise 50 Euro. Und wenn beim nächsten Termin die gesetzten Gesundheits-Ziele nicht erfüllt werden, so gibt es weniger oder gar nichts mehr. Mit so einer Maßnahme erreicht man zudem gut die niederen sozialen Schichten, wo laut Statistiken ein schlechteres Gesundheitsbewusstsein herrscht. Hier könnten sich die Leute über gesunde Lebensweise quasi ein Zusatzeinkommen schaffen, und das erzeugt Betroffenheit.

profil: Wie reagieren denn Politiker auf derartige Vorschläge?

Pichlbauer: Den meisten ist das viel zu heikel. Weil ja sofort die Totschlagargumente kommen, dass damit Kranke bestraft werden und Ärzte sich hier nicht einspannen lassen wollen. In Wahrheit ist diese Haltung extrem bevormundend, weil sie Patienten ja gar nicht zutrauen, dass sie selbst Koproduzenten ihrer Gesundheit werden. Prävention funktioniert nur dann, wenn die Patienten selbst begreifen, dass sie ihre Gesundheit mitbestimmen können.

profil: Aber es ist doch auch bevormundend, wenn ich den Menschen suggeriere, ich weiß, was für sie gut ist und gebe Ihnen von außen Ziele vor?

Pichlbauer: Man braucht natürlich eine gute Datenbasis. Bei den Hüften weiß man etwa aus Studien, dass bei dicken Menschen die Hüften schlechter einwachsen und häufiger Komplikationen auftreten. Damit steigen auch die Behandlungskosten. Abzunehmen ist also für beide Seiten ein Gewinn.

profil: Weiß die Wissenschaft überhaupt, wie man wirksam Krankheiten vermeidet?

Pichlbauer: Bei den Zivilisationskrankheiten gibt es tatsächlich recht wenig brauchbare Studien, weil sich diese Krankheits-Prozesse ja über viele Jahre hinziehen und es Jahrzehnte dauern würde, bis man zu einer Entscheidung kommt. Dass Bewegung nützlich ist, bezweifelt kaum jemand, aber sogar hier ist die Beweislage dünn. Also muss man auch irgendwann die Eier haben, sich etwas zu trauen und hier Maßnahmen setzen. Selbstverständlich mit einer gut geplanten wissenschaftlichen Begleitung. Das setzt auch den Mut voraus, dass man Programme stoppt, wenn sich der gewünschte Effekt nicht einstellt.

profil: Bei welchen Krankheiten würden Sie solche Programme einführen?


Pichlbauer: Nur bei den großen Volkskrankheiten wie Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, COPD.

profil: Und wenn jemand deshalb so dick ist, weil z.B. eine Stoffwechselerkrankung vorliegt.

Pichlbauer: Ausnahmen müssen natürlich im Programm genau beschrieben sein.

profil: Man wird also nicht für seine schwachen Gene bestraft?

Pichlbauer: Doch. Da würde ich keine generellen Ausnahmen machen. Denn wer schwache Gene hat, hat halt Pech gehabt und muss eben eine höhere Selbstdisziplin an den Tag legen. Sicher ist das ungerecht, manche müssen sich eben mehr, manche weniger anstrengen um das gleiche zu erreichen. Ausreden auf die Gene würde ich nicht einfach erlauben.


Dr. Ernest G. Pichlbauer
, 40, arbeitete, bevor er sich der Gesundheitsversorgungsforschung zuwandte, als Pathologe am Wiener AKH. Während seiner Zeit am ÖBIG war er unter anderem an den Arbeiten zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) beteiligt Seit 2008 ist er unabhängiger Berater und Publizist. In seinem Buch „Gesunde Zukunft“ (Edition Steinbauer, 2007) lieferte er „Diskussionsgrundlagen zu neuen Strategien im Gesundheitswesen“.
Pichlbauer ist Vater eines Sohnes (2) und mit einer Spitalsärztin verheiratet



Dieses Interview erschien im Rahmen der Titelgeschichte "Der Vorsorge-Wahn" in der Zeitschrift profil (in leicht gekürzter Fassung)